SF-Kiffen (1)
Transcrição
SF-Kiffen (1)
Kiffen: Doch nicht so harmlos? Neue Studien zur Schädlichkeit von Cannabis verunsichern Eltern und Lehrer. Die Legalisierung des Kiffens gerät zunehmend unter Druck. Fachleute halten aber daran fest. “Früher war ich vorbehaltlos für die Legalisierung von Cannabis”, sagt Sandra K. (38), Sozialarbeiterin und allein erziehende Mutter aus Sankt Gallen. “Die Ammenmärchen, die uns damals über das Haschrauchen erzählt wurden, hab ich sowieso nie geglaubt.” Sie selbst habe es als Teenie ein paar Mal versucht, allerdings ohne Gefallen daran zu finden. “Aber viele meiner Freunde kifften, deshalb war es für mich immer ganz normal.” Heute beurteilt die Mutter von zwei Kindern die Sache kritischer. Ihr zwölfjähriger Sohn ist nicht nur im Alter, wo das Kiffen Thema wird. Sie hat auch schon einen Duftsack in seiner Jacke gefunden. Für Sibylle K. ist klar: “Das Zeug ist viel zu leicht erhältlich. Und wenn das Kiffen erst legalisiert ist, wird es noch schlimmer.” Genährt wird die Sorge der Frau durch Zeitungsberichte über neue Studien, die die Schädlichkeit des Cannabis-Konsums belegen wollen. Im Vordergrund stehen psychische Störungen wie Schizophrenie, Depressionen und Angststörungen. Dazu kommen körperliche Schädigungen, die durch das Inhalieren der im Rauch enthaltenen Verbrennungsstoffe verursacht werden. Häufiges Kiffen beeinträchtigt die Entwicklung im Jugendalter (vgl. Kasten). Auch das Erinnerungsvermögen und die Intelligenz leiden unter dem Dauerkiffen, wobei neuere Studien darauf hindeuten, dass sich das Gehirn nach einer Weile der Abstinenz wieder erholt. Beduselte Schüler Gleichzeitig mehren sich die Stimmen, die Cannabis ein höheres Abhängigkeitspotenzial attestieren als bisher angenommen. Rund 90’000 der geschätzten 600’000 Cannabis-Konsumenten in der Schweiz kiffen täglich. Stritt man bis vor kurzem noch über das Potenzial von Cannabis als Einstiegsdroge zur Heroinabhängigkeit, bieten Entzugskliniken wie die Cikade in Böckten (BL) heute bereits Plätze für reine CannabisKonsumenten an. In den letzten Jahren seien eindeutig mehr Eltern und Jugendliche wegen dem Kiffen in ihre Beratungsstelle gekommen, stellt die Drogenberatung Baselland (DBL) fest. Allerdings sei allgemein eine erhöhte Bereitschaft festzustellen, bei Problemen eine Beratungsstelle aufzusuchen. Sorgen bereitet Suchtfachleuten neben der epidemischen Ausbreitung des Konsums die stetig wachsende Qualität von Marihuana aus Schweizer Produktion. Labortests haben gezeigt, dass die hochgezüchteten Hanfblüten bisweilen bis zu 30 Prozent des psychoaktiven Wirkstoffs Tetrahydrocannabinol (THC) enthalten. Nicht nur Eltern, auch die Lehrerschaft zeigt sich zunehmend besorgt ob dieser Entwicklung. In einer Stellungnahme wandte sich der Dachverband Schweizer Lehrerinnen und Lehrer (LCH) gegen eine Legalisierung des Cannabis-Konsums. Die Lehrerschaft sei “nicht bereit, die wachsende Zahl beduselter Schüler im Unterricht hinzunehmen”. Anton Strittmatter, Leiter der Pädagogischen Arbeitsstelle des LCH, macht kein Geheimnis daraus, dass die Stellungnahme für einigen Wirbel gesorgt hat. “Auch in der Lehrerschaft gehen die Meinungen zur strafrechtlichen Liberalisierung von Cannabis auseinander”, sagt Strittmatter. Fakt sei indes, dass die Zahl der “nicht beschulbaren Schüler” stark zunehme. Neben dem Kiffen seien der exzessive TV-, Computer- und Party-Konsum der Schüler sowie Schlafmangel und unzulängliche Ernährung dafür verantwortlich. Die Angst der Lehrer vor der Cannabis-Legalisierung sei aber auch vor dem Hintergrund der stetig wachsenden Belastung durch grössere Schulklassen und fehlende Aus- und Weiterbildungsangebote zu sehen. Kopfschütteln bei Fachleuten Bei Fachleuten löste die Argumentation des LCH Kopfschütteln aus. “Der Reflex mag verständlich sein, trotzdem ist die Forderung nach einer Aufrechterhaltung der Prohibition grundverkehrt”, sagt Richard Müller, Direktor der Schweizerischen Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenfragen (SFA). Das heutige Cannabis-Verbot sei unwirksam, weil es von den Konsumenten als nicht legitim betrachtet werde und die Wahrscheinlichkeit, tatsächlich bestraft zu werden, relativ gering sei. Die jüngsten Studien brachten für Müller kaum neue Erkenntnisse. “Der Zusammenhang zwischen Cannabis-Konsum und Psychosen wird in der Fachwelt seit Jahren diskutiert”, erklärt der SFA-Direktor. Einig sei man sich lediglich darin, dass Cannabis latent vorhandene Psychosen auslösen kann. Ob Cannabis allein zu Schizophrenien oder Depressionen führen könne, sei alles andere als klar. “Bislang ist in der Schweiz jedenfalls trotz des Cannabis-Booms keine signifikante Zunahme dieser Erkrankungen zu beobachten.” Gelegentlicher Cannabis-Konsum, hält Müller fest, sei nach heutigen Erkenntnissen relativ harmlos. Und die meisten Kiffer hätten ihren Konsum im Griff. Auch der von Fachleuten aus fünf europäischen Ländern verfasste Cannabis Report 2002 hält fest, dass die meisten der 45 Millionen Europäer mit Cannabis-Erfahrung ihren Konsum unter Kontrolle haben. Einen vernünftigen Umgang mit dem Rauschmittel Cannabis zu fördern, ist für den SFA-Direktor deshalb das vorrangige Ziel der Prävention. “Es braucht durchaus klare Regeln und Sanktionen”, sagt Müller. “Diese müssen aber in Schulen, Betrieben und innerhalb der Familie bestimmt und durchgesetzt werden, nicht von der Polizei.” Auch für das Bundesamt für Gesundheit (BAG) gibt es keine Veranlassung, die im neuen Betäubungsmittelgesetz vorgesehene Strafbefreiung des Cannabis-Konsums zu überdenken: “Wir sind weit davon entfernt, Cannabis für harmlos zu erklären”, sagt Maria Saraceni, wissenschaftliche Mitarbeiterin im BAG. Neue Erkenntnisse zur Schädlichkeit des Kiffens würden durchaus ernst genommen. Sie zu kommunizieren sei indes Sache der Prävention. “Das Verbot hat den Konsum nicht verhindern können. Statt Repression wollen wir klare Rahmenbedingungen für die Kontrolle des Anbaus und Verkaufs von Cannabis schaffen und die Prävention verstärken.” Eine wichtige Massnahme für einen risikoärmeren Umgang mit Cannabis ist die Deklaration des THC-Gehalts von Cannabis-Produkten. Auch eine Beschränkung des zulässigen THC-Gehalts wird derzeit im Hinblick auf die Legalisierung diskutiert. Für SFA-Direktor Richard Müller ist die Begrenzung des THC-Gehalts aber ein zweischneidiges Schwert: “Wenn der Hanf weniger wirksam ist, muss der Konsument mehr davon rauchen, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Für die Lunge ist es besser, von einem starken Joint nur einen Zug zu nehmen.” Dani Winter ABC des Kiffens Joint, Tüte = Haschisch- oder Marihuana-Zigarette eins bauen, rollen = einen Joint drehen kiffen = Cannabis rauchen Cannabis = Die Hanfpflanze und die daraus gewonnen Produkte (Marihuana/ Haschisch) Marihuana, Gras = die getrockneten Blüten der weiblichen Hanfpflanze Hasch(isch), Shit = gepresstes Harz der Hanfblüten (Delta-9-)Tetrahydrocannabinol = Hauptwirkstoff der Hanfpflanze. Neben verschiedenen THC-Arten enthält 400 weitere Inhaltsstoffe wie Cannabinoide, Alkaloide und ätherische Öle. Früher Konsum begünstigt Abhängigkeit Gemäss der Cannabis-Befragung der Schweizerischen Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme (SFA) aus dem Jahr 2000 kiffen nicht weniger als 6,5 Prozent aller 15- bis 19-Jährigen in der Schweiz mindestens einmal täglich. Das Problematische daran: Starker CannabisKonsum während Pubertät und Adoleszenz beeinträchtigt die körperliche und seelische Entwicklung. “In dieser Phase wird von Jugendlichen besonders viel verlangt”, erklärt Catherine d’Aujourd’hui, Psychologin bei der Drogenberatung Baselland (DBL). “Das Kiffen wird als Mittel gegen Stress und zum Erzeugen von Wohlbefinden verwendet. Die Leistungen lassen nach, der daraus folgende Frust wird wiederum mit Kiffen erträglich gemacht.” Hinter einem problematischen Cannabis-Konsum stünden oft grosse soziale und seelische Schwierigkeiten. Surf-Tipp Antworten auf alle Fragen zum Thema Cannabis liefert die Homepage der Internationalen Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin: http://www.acmed.org/german/faq/