Tod und Jenseitsvorstellungen - Phil.-Hist. Fakultät
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Tod und Jenseitsvorstellungen - Phil.-Hist. Fakultät
Frank Kressing Tod und Jenseitsvorstellungen indigener Völker Amerikas Das vorliegende Skript bildete die Grundlage zweier Vorträge (1) (2) im März 1999 im Raum für Trauerkultur in Tübingen im Mai 2003 im Rahmen des Kompaktseminars Totenbrauchtum und Jenseitsvorstellungen des Faches Volkskunde der Universität Augsburg in Zusammenarbeit mit der kath. Hochschulgemeinde (Seminarleitung: Prof. Dr. Doering-Manteuffel, Pfarrer Dr. Schwarz). Gliederung 1. Die Vielfalt indianischer Kulturen 2. Schwierigkeiten der Annäherung indianische Konzepte von Kosmos und Seele Beispiel (1): Die drei Seelen der Jíbaro / Jivaro 3. Weitere Fallbeispiele (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9) (10) Östliche Shoshone Navajo / Diné Hopi Huichol Azteken / Nahua und modernes México Cuna Secoya Moche Runakuna (Quechua) 3. Verallgemeinerungen und Schlußfolgerungen Quellen 1. Die Vielfalt indianischer Kulturen In der Ethnologie versteht man unter "Indigenen Völkern" Ureinwohner bestimmter Weltregionen, im Falle Amerikas diejenigen Menschen, die im allgemeinen als "Indianer" bezeichnet werden. Im selben Maße, wie dieser Begriff eigentlich eine geographische Fehlbenennung darstellt (schließlich leben "die Indianer" nicht im vermeintlichen Indien, wie noch Kolumbus glaubte, sondern auf einem eigenen Kontinent, der den Europäern zuvor unbekannt 1 war1), verbinden sich auch mit dem Wort "Indianer" zahlreiche Klischees - etwa das vom Bisonjäger und Reiterkrieger der Prärien, oder das vom Poncho-bekeideten Anden-"Indio". Zudem müss Indianer häufig dafür herhalten, utopische Ideale von Angehörigen der westlichen Industriegesellschaft als "Edle Wilde" oder "grün-ökologische Indianer", die in völliger Eintracht mit Mutter Erde leben, zu erfüllen. Um dieser Klischeebildung etwas entgegenzuwirken, haben sich im wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Bereich inzwischen Begriffe wie "Ureinwohner Amerikas", "American Natives", Indigene Völker Amerikas", "Eingeborene Amerikas" oder auch "Amerindianer" etabliert. Mit dem Wissen von den unzutreffenden Klischees bezüglich der Urbevölkerung der westlichen Hemisphäre im Hinterkopf, werde ich in diesem Vortrag der Einfachheit halber auch weiterhin gelegentlich von Indianern sprechen. Viel weniger als das erwähnte klischeehafte Indianerbild ist im Alltagsbewußtsein verhaftet, daß auf dem amerikanischen Doppelkontinent eine fast unüberschaubare Vielfalt von verschiedenen Sprachen und Kulturen - und damit auch von völlig verschiedenen Formen des Umgangs mit dem Tod, der Trauer, der Trauerbewältigung und der Jenseitsvorstellungen verbreitet war und ist. Indianische Sprachen können voneinander so verschieden sein wie Deutsch, Finnisch, Türkisch oder Arabisch - im indigenen Amerika sind bzw. waren ca. dreißig verschiedene Sprachfamilien (jeweils vergleichbar der indoeuropäischen Sprachfamilie!) und mehr als fünfhundert Einzelsprachen (keine Dialekte!) verbreitet. Inzwischen sind viele originär indianische spirituelle Vorstellungen durch die Kolonisierung und durch Einflüsse des Christentums sehr zurückgedrängt worden bzw. ganz verschwunden - andere leben im Verborgenen und trotz des übermächtigen Einflusses der Kirche (in "Latein"- wie in Nordamerika) in zum Teil ungebrochener Form (und zum Teil parallel zu den christlichen Kulten) weiter fort. Aufgrund der schon erwähnten Fülle völlig verschiedener kulturgebundener Vorstellungen können hier im folgenden nur einige wenige Beispiele für den Umgang mit Tod, Trauer und dem Leben nach dem Tode angeführt werden. 2. Schwierigkeiten der Annäherung - indianische Konzepte von Kosmos und Seele Zunächst sei auch auf einige methodische Schwierigkeiten verwiesen, wenn es darum geht, indigene Konzepte von Tod, Trauer und Jenseits überhaupt zu begreifen - sind doch die dahinterliegenden Vorstellungen und Grundannahmen über den Aufbau der Welt bei indigenen Völkern Amerikas z.T. grundlegend verschieden von denen Europas und auch Asiens. 1 Und welcher später in ebenso unzutreffender Weise nach dem italienischen Geographen Amerigo VESPUCCI als America bezeichnet wurde; Einheimische Bezeichnungen für den Doppelkontinent sind z.B "Schildkröteninsel" (Irokesen) oder Abya Yala (Quechua). 2 Bei aller rituellen Vielfalt finden sich allerdings in vielen indianischen Kulturen durchaus vergleichbare Grundvorstellungen über den Aufbau des Kosmos und die Beschaffenheit der menschlichen Seele - Vorstellungen, welche vielle Parallelen zu denen sibirischer Ureinwohner aufweisen, und die vielleicht noch in die Zeiten vor der Einwanderung über die Beringstraße vor 30-40 000 Jahren zurückreichen. Eine Grundannahme dieses schamanistisch anmutenden Weltbildes ist die Teilung des Kosmos in eine Mittel-, Unter- und Oberwelt. Wir leben auf der Erde, in der Mittelwelt; die Ober- und die Unterwelt können nochmals in mehrere voneinanvoneinander unterschiedene Schichten aufgeteilt sein, so daß es durchaus sieben oder neun verschiedene Himmelszonen geben kann. Nur besonders befähigte Menschen können sich mehr oder weniger frei zwischen diesen verschiedenen Schichten bewegen - diese sind rituelle Spezialisten, gemeinhin Medizinmänner und Medizinfrauen genannt, bei manchen indianischen Völkern auch Schamanen und Schamaninnen. Zum Teil wird angenommen, daß die Fähigkeit zum Heiler in der mütterlichen oder väterlichen Linie vererbt wird. Bei andren Völkern sind einschneidende Berufungserlebnisse - Begegnungen mit mächtigen Geistwesen, wiederholte Trancezustände oder, wie in den Anden, das Überleben eines Blitzschlages - nötig, um die grundsätzliche Fähigkeit zum Heilen zu gewinnen. Abgesehen von Kräutermedizin und chiropraktischen Therapien der bone setters oder hueseros [Knocheneinrenker] finden indianische Heilrituale auf einer zeremoniellsymbolischen Ebene, und hier häufig, wenn auch nicht immer, in Zuständen eines veränderten Bewußtseins statt. Der Fachterminus dafür ist altered states of consciousness (ASC). Dementsprechend wird die Fähigkeit zum Himmelsflug oder zur Unterweltreise durch entsprechende Vorbereitungen und Stimulanzien erlangt: Fasten, Beten, innere Versenkung an einsamen Orten (also Meditation), Schlafentzug oder monotones, laut dröhnendes Trommeln und Rasseln oder die Einnahme von Drogen führen in einen Zustand der Trance oder Ekstase, der körperlichen Deprivation durch Hunger, Kälte, Einsamkeit, Monotonie, durch Reizentzug oder Überreizung oder Halluzinogengebrauch. Die Liste der von indianischen Völkern verwandten Halluzinogene (bewusstseinsverändernden Substanzen) ist übrigens sehr lang: in der Neuen Welt wurden und werden weit mehr rauscherzeugende Pflanzen verwandt als in der Alten Welt. Aufgezählt seien hier stellvertretend für viele andere lediglich der Peyote-Kaktus, die Ayahuasca-Liane, der San PedroKaktus, der Psilocybe-Pilz oder auch bei uns verbreitetete Nachtschattengewächse wie Stechapfel (Datura) und Engelstrompete (Brugmansia). Wichtiger als die reine chemisch-physiologische Stimulanz sind für solche Seelenreisen die geistig-spirituellen Konzepte, die dahinterstehen: nach der Überzeugung der meisten indigenen Völker Amerikas gibt es nicht nur eine Seele (wie wir sie aus dem Christentum kennen), sondern mindestens zwei verschiedene Seelen oder Seelenaspekte, von Ethnologen 3 gern als Körperseele und Freiseele bezeichnet. Während der eine Seelenaspekt für die vegetativen Funktionen des Körpers wie Atmen, Schlafen, Wachen zuständig ist, kann sich der andere Seelenaspekt (die flüchtige Freiseele) durchaus im Traum oder bei heftigem Schreck vom Körper entfernen. Kommt sie nicht rechtzeitig zurück, sind Krankheit und möglicherweise der Tod die Folge. Der sogenannte susto, der Seelenverlust durch Schreck, ist ein auch bei der iberoamerikanischen Bevölkerung Süd- und Mittelamerikas ein sehr verbreitetes Krankheitsbild und wird zu den sogenannten kulturgebundenen Syndromen gezählt (vgl. HÖRBST 1995). Im Falle des Seelenverlustes sind die traditionellen Heilerinnen und Heiler, Medizinmänner und Medizinfrauen dafür zuständig, die flüchtige Freiseele wieder einzufangen und dem Patienten einzuverleiben. Dazu muß der Ort des vermuteten Seelenverlustes aufgesucht werden, die Seele eingefangen und zum Kranken zurückgebracht werden - die Wiedereinverleibung der Seele findet häufig in durchaus verdinglichter Form statt, z.B. indem ein Nachtfalter geschluckt werden muß, welcher die flüchtige Seele in sich trug. Beispiel (1): Die drei Seelen der Jíbaro Wie komplex indianische Seelenvorstellungen sein können, sei am Beispiel der Jíbaro (auch Jivaro) erläutert. Sie nennen sich selber - je nach Untergruppe - Shuar oder Achuar und leben im östlichen Tiefland, dem oriente Ecudors. Historisch standen die Shuar und Achuar in dem Ruf, "Schrumpfkopfmacher" zu sein, d.h. die Kopftrophäen getöteter Feinde mit einem geschickten Verfahren zu räuchern und zu mumifizieren. Dafür gibt es in ihren spirituellen Vorstellungen gewisse Anhaltspunkte: "Drei Seelen der Jívaro Die wahre Seele ist, wie man glaubt, in jedem lebenden Jívaro, ob Mann oder Frau, von Geburt an vorhanden. Beim Tod verläßt diese Seele den Körper und durchläuft vier weitere Umwandlungsphasen. In der ersten Phase ihres jenseitigen Lebens kehrt sie zum Geburtsort ihres Körpers zurück und lebt ihr früheres Leben in unsichtbarer Form noch einmal. In der zweiten Phase verwandelt sich die Seele in einen bösen [d.h. übelwollenden] Geist, der allein, einsam und hungrig durch den Wald streift. Dann stirbt die Seele er erneut und verwandelt sich in eine wampang, eine Riesenmottenart, die man gelegentlich herumflattern sieht. In der vierten und letzten Phase verwandelt sie sich in Nebel: 'Nach einer gewissen Zeit, deren Dauer den Jivaro nicht bekannt ist, werden schließlich die Flügel der wampang, wenn sie im Regen herumflattert, von den Regentropfen zerstört. Sie fällt auf den Boden und stirbt. Dann verwandelt sich die wahre Seele im herabfallenden Regen in Wasserdunst. Von allen Fröschen und Wolken glaubt man, sie seien die letzte Gestalt, die wahre Seelen annehmen. Nun erfährt die wahre Seele keine weiteren Umwandlungen mehr, sondern bleibt für immer Nebel.' (HARNER 1972:151) Niemand wird mit der zweiten Jivaro-Seele, der arutam-Seele geboren. Um eine arutam-Seele zu erwerben, muß man fasten, in einem heiligen Wasserfall baden und Tabakwasser oder den 4 Saft des Stechapfels.2 Die arutam kommt in Gestalt eines Riesenjaguar- oder Riesenschlangenpaares aus der Tiefe des Waldes hervor und nähert sich dem Seelensuchenden. Ist die Erscheinung nahe genug herangekommen, muß der zu Tode erschrockene Suchende vorwärts stürmen und sie berühren. Dann wird die arutam-Seele nachts in seinen Körper eindringen. Personen, die eine arutam-Seele besitzen, sprechen und handeln mit großem Selbstvertrauen und fühlen den unwiderstehlichen Drang, ihre Feinde zu töten. Sie selbst sind, solange sie diese Seele besitzen, unsterblich. arutam-Seelen kann man aber nicht ein für allemal behalten. Kurz bevor derjenige, der sie besitzt, jemanden tötet, verläßt sie ihren vorübergehenden Aufenthaltsort. Sie streift dann erneut durch den Wald und wird schließlich von einem anderen Seelensucher eingefangen, der mutig genug ist, sie zu berühren. Die dritte Seele der Jivaro ist musiak - sie rächende Seele. Diese Seele entsteht, wenn der Mensch, der eine arutam-Seele besaß, von einem Feind getötet wird. Die musiak-Seele entsteht im Kopf des Opfers und versucht, hinauszukommen und den Töter anzugreifen. Um das zu verhindern, trennt man den Kopf vom Körper des Opfers, 'schrumpft' ihn und nimmt ihm mit nach Hause mit. Wird die musiak in verschiedenen Ritualen und Tänzen richtig behandelt, kann sie den Töter stark und glücklich machen. Hat sie ihre Funktion erfüllt, hält man ein Ritual ab und schickt sie in ihr Heimatdorf zurück. " (HARRIS 1989:280) Wir haben hier also ein sehr individualistisches, auf persönlichen Machterwerb ausgerichtetes Modell von Seelenvorstellungen vor uns, was sich in dieser Form keinesfalls auf andere indianische Ethnien übertragen läßt. Es zeigt sehr deutlich, daß Seelenkonzeptionen amerikanischer Indigener fundamental verschieden von denen des Christentums und auch anderer Hochreligionen sein können. Aus dieser vom europäischen Denken so verschiedenen Konzeption der Seele läßt sich auch ableiten, daß nach dem Tod ganz andere Handlungen als in westlichen Kulturen vorgenommen werden müssen: Aufgabe von Medizinmännern, speziell von Schamanen ist es, der Seele nach dem Tode den ihr gebührenden Platz im Totenreich zuzuweisen - eine Aufgabe, die in der Wissenschaft als die eines psychopompos, eines Seelenführers, bezeichnet wird. Wie dieses Totenreich aussieht, darüber gehen nicht nur die Meinungen zwischen verschiedenen indianischen Völkern, sondern auch innerhalb der Angehörigen ein und derselben Ethnie völlig auseinander - das heißt, es gibt auch völlig individuell geprägte Vorstellungen von Jenseits, welche von der offiziellen "Stammesreligion" durchaus abweichen können. Nicht vergessen werden darf dabei, daß die Verbreitung des Christentums in erheblichen Maße zur Aufweichung vieler traditioneller Vorstellung beitrug, und daß manche spirituelle Vorstellungen auf Geheimbünde beschränkt sind und auch der Öffentlichkeit innerhalb der eigenen Dorf- oder Siedlungsgemeinschaft nicht zugänglich gemacht werden (so z.B. bei den Hopi mit ihrem stark entwickelten zeremoniellen Bundwesen). 2 "... einer Pflanze trinken, die die hallzuzinogene Substanz datura enthält", heißt es im Zitat: Jedoch ist Datura keine halluzinogene Substanz, sondern der wissenschaftliche Name der Gattung Stechapfel innerhalb der Familie der Nachtschattengewächse (Anmerkung des Verfassers). 5 Bevor ich mich anhand einzelner Fallbeispiele den Vorstellungen von Tod und Jenseits in verschiedenen indianischen Kulturen widme, sei noch erwähnt, daß nach dem Schöpfungsmythos vieler indianischer/ indigener Völker der Tod keinesfalls von anfang an in der Welt existierte. Gemäß den spirituellen Vorstellungen von Angehörigen der PENUTI- und HOKA-Sprachgruppen3 im zentralen Kalifornien waren die Menschen am anfang aller Zeiten unsterblich, wußten aber auch nichts von der körperlichen Liebe und vermehrten sich dementsprechend nicht. Erst der Kojote, in der Mythologie vieler nordamerikanischer Ureinwohnervölker ein sogenanntes "Trickster-Wesen", brachte durch seine Tolpatschigkeit und Unachtsamkeit den Tod in die Welt - und gleichzeitig als Verkörperung von Gier und Lüsternheit auch den Sexualverkehr und die Vermehrung der Menschen - eine Überlieferung, die in gewissen Inhalten an die alttestamentarische Vertreibung aus dem Paradies erinnert. 3. Fallbeispiele Verschiedene indianische Völker (Ethnien) Nordamerikas messen z.B. den Vorstellungen vom jenseitigen Leben so gut wie überhaupt keine Bedeutung bei, so z.B. die Windriver Shoshone in Wyoming - früher ein typischer "Stamm" der Plains-Indianer (vgl. HULTKRANTZ 1992). (2) Östliche Shoshone Bei HULTKRANTZ (1992:77, 78) heißt es von dieser Shoshoni-Gruppe: "What happens at death. There are many opinions among the Shoshoni in this matter as there are among other Indians. Ideas of reincarnation (rare today), of life on earth as ghosts, or of life in another world such as heaven or a land beyond the shining mountains in the West, compete with each other. Christianity has of course, turned minds to the idea of a happy existence in heaven. Some living persons are said to have gone over to the other side in a state of coma, and they have reported a land of 'happy hunting grounds', with buffalo hunting on swift ponies. But such visions are not much credited theses days." Dieser Weg ins Totenreich, in die "glücklichen Jagdgründe",4 soll entlang der Milchstraße über den Himmel führen. 3 Stellvertretend für viele andere seien hier als Völker der Ureinwohner des zentralen Kaliforniens die Yokuts, Wintun, Maidu und Pomo genannt. 4 Diese Vorstellung erinnert sehr an die aus der populären Indianerliteratur bekannten "Ewigen Jagdgründe". 6 (3) Navajo / Diné Fast noch diffuser erscheinen die Vorstellungen der Navajos oder Diné über das, was nach dem Tode geschieht. Die Navajos oder Diné, wie sie sich selbst nennen, sind mit mehr als 200 000 Menschen die größte Ureinwohner-Nation in den heutigen USA und bewohnen eine Reservation von der Größe Bayerns (ca. 80'000 km2) in den Bundestaaten Arizona, New Mexico und Utah im Südwesten der Vereinigten Staaten. Sie leben von Viehzucht, Maisanbau und Kunsthandwerk, nicht zuletzt zum Verkauf an Touristen. "The absence of clear ideas of existence after death is a typical Athabascan phenomenon. Indeed, most Navajos declare that they do not know what will happen to them after death. Their concerns are about this life, which they try to make as harmonious as possible. There are, however, different traditions about conditions in the next life., like the tradition of a return to the darkest underworld, and there are reports of people who have come to the other world in trance experiences. Such tales do not have the same truth value for everybody. It is said, however, that the human being's inner form, a wind soul, returns to Dawn Woman (who could be the same as Changing Woman)." (HULTKRANTZ 1992:127, 128) Bleibt zu ergänzen, daß den Navajos im allgemeinen panische Furcht vor den Toten, dem Umgang mit Leichen und den Hinterlassenschaften von Toten nachgesagt wird. Dazu möchte ich hier die persönlichen Erfahrungen des US-amerikanische Volkskundlers Barry Toelken wiedergegeben, der für ein Gastsemester auch in Tübingen am Ludwig-UhlandInstitut für Empirische Kulturwissenschaften (LUI/ EKW) unterrichtete. Barry TOELKEN war mit einer Diné verheiratet war und kam in in den dreißiger Jahren zur Uranexploration auf die Navajo-Reservation. Anläßlich seiner Gastprofessur hier in Tübingen berichte er, daß er häufig mehr oder weniger genötigt wurde, tote Diné zu begraben, da niemand von den Angehörigen dieser Ethnie etwas mit den Leichen zu tun haben wollte. Die Behausung der Toten - traditionell ist dies eine achteckige Hütte aus lehmverputzten Baumstämmen, der sogenannte hoggan - wird nach dem Tode eines seiner Bewohner zerstört, ebenso wird der gesamte Hausrat des oder der Toten verbrannt.5 (4) Hopi Die benachbarten Hopi, welche zusammen mit den Diné auf einer gemeinsamen Reservation leben, begruben früher ihre Toten im Maisfeld oder innerhalb der einzelnen Häuser in den sogenannten Pueblos - soweit sie nicht als konvertierte protestantische Christen über Friedhöfe verfügen. Es besteht der Glaube, daß die Seelen der Toten als Regenwolken am 5 Sehr empfehlenswert sind übrigens, um eine Vorstellung von der geistigen Welt und dem zeremoniellen Leben der Diné zu bekommen, die Kriminalromane von Tony HILLERMAN, der als Kind auf der Reservation aufwuchs. 7 Himmel erscheinen oder als sogenannte kachinas,6 als Ahnengeister zwischen der Winterund der Sommersonnenwende in den Dörfern erscheinen. Zu dieser Zeit werden die kachinas von maskierten Tänzern, welche Geheimbünden angehören, dargestellt. In jedem Fall wird den wiederkehrenden Toten die Aufgabe zuteil, für Regen zu sorgen, der in der halbwüstenartigen Heimat der Hopi unbedingt zum Gedeihen der Feldfrüchte und zum Überleben notwendig ist - eine Verbindung von Tod und Fruchtbarkeit, die uns noch mehrmals begegnen wird. Weiter südlich, in der westlichen Sierra Madre Mexikos, leben die (5) Huichol Zu ihrer Totenzeremonie gehört es, daß der Priester (maraka'ame genannt) die Totenseelen aus dem Jenseits holt und sie vorübergehend in die Welt der Lebenden mitnimmt, damit sie von den Lebenden Abschied nehmen können: "Fünf Tage nach dem Tod eines Menschen versammeln sich seine Verwandten, um sich von ihm zu verabschieden. Auf einer Plattform hat man seinen Besitz aufgestapelt, damit er alles, was er nötig hat, mitnehmen kann. Damit ist es Aufgabe des Marakaame, die Totenseele aus dem Jenseits zu holen und sie vorübergend in die Welt der Lebenden mitzunehmen, damit die Hinterbliebenen Abschied nehmen können. Später soll er sie wieder ins Jenseits geleiten." (CIPOLLETTI 1989:216) "Während z.B. Jungverstorbene im Totenreich - im Reich der Sonne - bleiben, ist das Schicksal von älteren, weisen Menschen nach dem Tod verschieden: Fünf Jahre nach ihrem Tod bilden sich aus den Knochen Bergkristalle oder farbige Steine. Wenn sich dieser Prozeß vollzogen hat, scickt der Tote einen Pfeil an einen seiner Verwandten, was sich bei diesem als Schmerz ausdrückt. Der Schamane interpretiert dies als Botschaft des Toten, daß dessen Verwandlung vollkommen ist und er in die Welt der Lebenden als Bergkristall zurückkehren will. Der Maraakame geht dann, im Zustand der Trance, ins Reich der Sonne, um die Bergkristalle auf die Erde zu holen. Diese Steine werden an bestimmten heiligen Orten aufgehoben, in einer Art Kapelle, wo man auch andere heilige Gegenstände aufbewahrt. Die Steine, die die verkörperten Toten sind, werden Großvater (Tewari) oder Wächter (Ukuyari) genannt." (DIES.: 217) 6 Dies ist die anglisierte Version des Hopi-Wortes katsina, Pl. katsinam, welches für (1) den Ahnengeist (in der überwiegenden Mehrzahl männlich), (2) den diesen verkörpernden Tänzer, (3) aus Weidenholz geschnitzte Kachina-Puppen, die sogenannten tihus, steht. Die Kachinas tragen in der Regel nicht die persönliche Existenz des Toten weiter (vgl. HARTMANN). 8 (6) Azteken / Nahua und modernes México Die Azteken im heutigen Mexiko gehören zu den bekannteren indianischen Kulturen, sie begründeten sie doch vom zentralen Hochtal um das Mexico City aus ein Großreich, und ihre Sprache, das Nahua / Nahuatl, wird auch heute noch von etwa drei Millionen Menschen in Mexiko gesprochen7 - ja, sogar der Name des Staates Mexiko geht auf sie zurück. Ein Brauch vieler vorkolumbianischer Kulturen war es, den Toten auf ihren Gräbern zu bestimmten Feiertagen Nahrung und Getränke darzubringen, d.h. also, zusammen mit den Toten an ihren Grabstätten ein Festmahl zu feiern (siehe auch unten zu den zentralen Anden). In den präkolumbianischen Hochkulturen Mexikos und Perus waren diese Getränke vornehmlich alkoholischer Natur - Maisbier oder Agavenschnaps - die Toten wie die Lebenden sollten "besoffen gemacht werden". Bei den Azteken wurden den Toten Speisen und Blumen als Gaben dargebracht (DIETRICH 1971). Im heutigen Mexiko vermischen sich diese indianischen mit christlichen Traditionen: die alte Sitte des Besuchs der Gräber wird nach wie vor beachtet - und zwar zu Allerheiligen am 1. und zu Allerseelen am 2. November.8 An diesen beiden Tagen werden in den Häusern Gabentische für die Toten, sogenannte ofrendas aufgebaut, auf denen "alles steht, was dem [oder der] Toten zu Lebzeiten gefallen oder geschmeckt hat: Zigarren, Pulque (Agavenschnaps), Obst ... Getränke und Speisen, die der Tote zu Lebzeiten mochte ... Kerzenhalter, Heiligenbilder und Räuchergefäße mit Copal (Rauchharz)." (CIPOLLETTI 1989:207). Ein Blütenpfad mit Tagetes-Blumen führt von der Haustür bis zu diesem Gabentisch, da Tote angeblich die Farbe Gelb besonders gut sehen können. Weiterhin werden für diese Totenfeste Zuckerschädel mit dem Namen des Toten auf der Stirn, das sogenannte Totenbrot (pan de muerto), Pappmachéfiguren und Holzspielzeug für die Seelen verstorbener Kinder hergestellt. Das Versäumnis, für die Toten einen solchen Gabentisch bereit zu stellen, kann zu Sanktionen von Seiten des Toten führen. Viele mexikanische Künstler haben sich des Themas Tod angenommen, z.B. Diego RIVERA mit der Figur der berühmten Catrina - einem Skelett in der Kleidung einer eleganten Dame der Oberschicht, welche als Schal eine gefiederte Schlange trägt - Sinnbild des aztekischen Gottes Quetzalcoatl (vgl. DIES.:204). Angehörige aller Schichten und Berufsgruppen werden zum Totenfest als Skelette auf gestanztem Papier, sog. papel picado, dargestellt. Auch der russische Regisseur Sergej EISENSTEIN zeigt sich im mexikanischen Exil vom The- 7 Für 1967 wird noch eine Bevölkerungszahl von 0,65 Mio. angegeben, vgl. LINDIG & MÜNZEL 1978:237 sowie Hdb. of Middle American Indians 1967 VI. 8 "Im Katholizismus wurde seit dem Jahr 834 unter Papst Gregor VI. der 1. November als Tag zu Ehren aller Heiligen gefeiert. Der 2. November wurde im 14. Jahrhundert als Allerseelentag im römischkatholischen Kalender festgelegt." (CIPOLLETTI 1989:201) 9 ma Tod fasziniert - die Totenschädel wurden zum zentralen Motiv eines seiner berühmtesten Filme. (7) Cuna Die Cuna. ca. 30 000 Menschen, leben in halbautonomen Gebieten an der Atlantikküste Panamas und haben viele Züge ihrer Kultur gegenüber Einflüssen von außen behaupten können - u.a. auch ihre Bestattungsriten: "Ein sterbender Cuna wird von von Bekannten und Nachbarn besucht, die ihm Botschaften für tote Freunde und Verwandte, die er ja bald treffen wird, geben. Nach dem Tod wird die Leiche gewaschen, mit den besten Kleidern versehen und in die Hängematte gelegt. [HELBIG 1983:198 ff.]. Die Frauen beweinen den Toten und zählen seine gute Taten auf. Dann wird der Trauersänger (Masartuleti) gerufen, der unter der Hängematte des Verstorbenen Platz nimmt und singt. Der Gesang dauert manchmal bis zu einem ganzen Tag lang; er soll Geleit der Seele ... ins Totenreich sein." (CIPOLETTI 1992:225) Die Begräbnisplätze liegen immer auf dem Festland, obwohl die Cuna auch die der Küste Panamas vorgelagerten Inseln bewohnen - d.h., im Bedarfsfall muß der oder die Tote mit dem Kanu zum Festland gebracht werden. Das Grab besteht aus einer rechteckigen Kammer, "dort wird die Hängematte mit dem Toten darin an zwei Pfähle geknüpft." (EBD.). Der Tote darf nicht in Kontakt mit der Erde kommen, deshalb wird das Grab zunächst mit Bohlen und dann erst mit einer Schicht aus Blättern und Erde bedeckt, darüber errichtet man eine Hütte ohne Wände (wie sie in tropischen Gebieten Mittel- und Südamerikas ohnehin üblich sind). Dem Toten werden alle möglichen nützlichen Gegenstände mitgegeben, deren "Seelen" (geistige Substanz?) ihm im Jenseits dienen sollen, so auch ein Baumwollseil, daß der Totenseele zum Überqueren von Flüssen und Seen im Jenseits dienen soll. So wird auch ein Miniaturkanu an einem Fußufer in der Nähe des Grabes deponiert, damit der Tote damit seine Jenseitsreise antreten kann. "Auf einer Miniaturleiter, die man dem Toten is Grab gibt, gelant er von einer Schicht des Kosmos zur nächsten ... Ebenfalls gehören vier Rohrstäbe ins Grab, die am oberen Ende einige Federn und eine kleine Kette aus Glasperlen tragen. Im Jenseits nehmen die Stäbe menschliche Gestalt an: die Federn werden dann zu Federkopfschmuck, die Glasperlen zur Halskette, die spiralförmige Bemalung wird zur Kleidung der vier Wesen, die den Toten leiten ... Es obliegt dem Medizinmann, die vier Rohrstäbe als Begleiter der Totenseele ins Jenseits zu schicken ... [Von den vier Rohrstäben begleitet, beginnt] die Totenseele in einem Kanu eine Reise durch den Kosmos, die zunächst durch mehrere Schichten der Unterwelt und dann durch Schichten der Oberwelt führt. (DIES.: 228, 229) Je nach dem Verhalten des Menschen zu Lebzeiten wird die Seele ein Opfer der vielen Gefahren dieses Weges (fällt ins Wasser, wird an einer Weggabelung auf einen dornigen Pfag geleitete etc.) oder kommt unbeschadet davon. Untreue Ehemänner werden z.B. beim Auf- 10 stieg in die Oberwelt von Scheren zerstückelt, schlechte Menschen bzw. ihre Seelen von Jaguaren gefressen. Besteht die Seele alle diese Prüfungen, erhält sie einen neuen Körper aus Gold und gelangt in ein Land mit palastartigen Gebäuden; auf ihrem Weg begegnen ihr alle zuvor verstorbenen Verwandten und Freunde (DIES.: 231-235). - Die Cuna haben schon sehr lange Kontakt zu Europäern, deshalb liegt hier die Vermutung nahe, daß christliche Einflüsse mit ihm im Spiel sind. (8) Secoya Anders die Secoya, die bis vor einigen Jahrzehnten weitgehend weltabgeschieden lebten. Sie ehören zu den Tiefland-Ethnien Südamerikas und leben im Regenwald NordwestAmazoniens, im Genzgebiet von Ecuador und Perú. Ihrer traditionellen Überzeugung nach ist der Tod keine natürliche Sache, sondern geht auf den Einfluß eines übelwollenden Schamanen (yajé unkuke = ayahuasca-Trinker), also auf Hexerei zurück. Tote werden im Haus in einer abgeschlossenen Kammer begraben, welche mit Rinde und Bambus ausgelegt wird, um den Kontakt des Toten mit der Erde zu vermeiden (vgl. Cuna, CIPOLLETTI 1992:238). Ebenso wie bei den Cuna wird der Tote in seiner aufgehängten Hängematte begraben, und Dinge des alltäglichen Gebrauchs werden ihm mit ins Grab gegeben, der restliche Besitz wird verbrannt und die Pflanzungen (Maniok und Bananen) des Toten bewußt vernachlässigt. Der Tote muß in die Richtung des vorbeifließenden Flusses schauen, da er sich mit dessen Strömung in die Oberwelt erheben wird (S. 240). Seit 1955 wurden die Secoya von Missionaren des Summer Institute of Linguistics (einer protestantischen Bibelgesellschaft aus den USA) versucht zu bekehren, 1981 wurde deren Vertrag von der ecuadorianischen Regierung gekündigt. Sofort begannen die Secoya wieder, ihre traditionellen Begräbnissitten aufzunehmen und exhuminierten zu diesem Zweck sogar die in der Zwischenzeit auf einem christlichen Friedhof beigesetzten Toten, weil sie befürchteten, daß die in den Särgen gefangenen Toten diese Reise nicht würden antreten können. Auf seiner Jenseitsreise gelangt der Tote in das Haus, das Reich der Gottheit Repáo, deren schlechte Zwillingsschwester die letzte Sintflut verursachte und immer noch in der Unterwelt darauf wartet, einen Weltuntergang hervorrufen zu können9. Dort bekommt der Tote neue, kräftige Nägel und Haare und lernt die Sprache der Toten. Dann trifft er seine verstorbenen Verwandten und führt ein Leben, das sich wenig von dem Irdischen unterscheidet. (9) Moche Bei den Moche haben wir es ebenfalls mit einer südamerikanischen Indianerkultur zu tun, allerdings mit einer präkolumbianischen, deren Träger lange vor der Ankunft europäischer conquistadores ausgestorben bzw. in anderen Ethnien aufgegangen sind. Die Moche 9 Ein weitverbreitetes Motiv in der indianischen Mythologie, um gegensätzlich / antogonistische Naturkräfte zu personifizieren. 11 lebten zwischen dem 2. und 7. Jh. an der Nordküste Perus und bewässerten die Wüste mit einem komplizierten Netz von Kanälen. Ihre Zeremonialgebäude bestanden aus bis zu 50 Meter hohen Pyramiden, die Gräber der Oberschicht (welche allerdings im Unterschied zu Ägypten nicht in den Pyramiden lagen) waren mit reichen Grabbeigaben ausgestattet, darunrter auch mit kunstvoll gestalteten Keramikgefäßen, welche skelettartige Tote bei Alltagshandlungen, häufig auch bei sexuellen Handlungen (Geschlechtsverkehr, Onanie) darstellen. Diese Darstellungen sind für das präkolumbianische Amerika einzigartig, da es dort sonst keine erotische Kunst gab. (10) Runakuna (Quechua) Mit den runakuna, d.h. Menschen, wie sich die quechuasprachigen Hochlandindianer Perus, Boliviens, Ecuadors, des südlichen Kolumbiens und Nordwest-Ar-gentiniens selbst nennen, kommen wir zu dem zahlenmäßig mit Abstand größtem Indianervolk: ca. 10 Millionen Quechua-Sprecher leben in den genannten Andengebieten. Ebenso wie in Mexiko ist auch in den Zentralanden üblich, zu Allerheiligen die Toten (allerdings nur die in den drei letzten Jahren verstorbenen) auf ihren Gräbern zu bewirten. Drei Jahre lang kehren die Verstorbenen als sogenannte almas nuevas- neue Seelen - zu den Lebenden zurück und suchen ihre ehemaligen Wohnorte auf (RÖSING 1988/1992:312). Tage und Wochen vorher wird Brot gebacken, um für die Seelen einen reich gedeckten Tisch mit Nahrungsmitteln, Zuckerrohr und Blumen bereiten zu können. In der Nacht ziehen Musikgruppen mit Trommeln und Föten durch die Dörfer, am, 2. November weden die Gabentische mit Musik und Schnaps zu den Friedhöfen gebracht (DIES.: 324). Jeder, der an den Gräbern der unlängst Verstorbenen betet, wird mit Gaben (vor allem Brot, aber auch Früchten wie Apfelsinen und Schnaps) belohnt. Viele junge Liebespärchen treffen sich gleichzeitig in den von den Eltern geräumten Hütten - bleibt noch zu erwähnen, daß in den Zentralanden südlich des Equators die Jahreszeiten im Vergleich zur Nordhalbkugel vertauscht sind und der November die Erntezeit darstellt. Somit findet sich hier also eine enge Verknüpfung von Tod und Fruchtbarkeit (der Felder, Tiere und Menschen), von Werden und Vergehen. 4. Verallgemeinerungen und Schlussfolgerungen Welche Schlussfolgerungen lassen sich nun aus dem Gesagten und Gesehenen ziehen? Der Tod ist auch heute noch in den meisten indianischen Gesellschaften allgegenwärtig und gehört zum täglichen Leben dazu und ist nicht in Krankenhäuser und Altenheime verbannt. Wie wir gesehen haben., leben sehr viele präkolumbianische Vorstellungen vom Schicksal der Seele oder ihren einzelnen Bestandteilen nach dem Tode fort und sind auch heute noch trotz 500 Jahren Christentum, Coca-Cola-Kultur aus den USA und westlicher Leistungs- und Konsumorientiertheit - sinnstiftende Elemente des alltäglichen Daseins. 12 Zum Glück ist der Mythos von Indianern als "aussterbender Rasse" nicht berechtigt ganz im Gegenteil, zumindest bei den gößeren indigenen Ethnien Amerikas ist seit Jahrzehnten ein sprunghaftes Bevölkerungswachstum zu verzeichnen, und es gibt zur Zeit ca. 50 Millionen Ureinwohner auf dem amerikanischen Doppelkontinent. Dennoch ist die indigene Bevölkerung Amerikas in weitaus größerem Maße als die Nachfahren der europäischen Einwanderer alltäglich mit dem Tod konfrontiert wird: in nordamerikanischen und brasilianischen Reservaten ist ebenso wie in den mehrheitlich indianisch besiedelten Landstricken Mexikos, Perus und Boliviens die durchschnittliche Lebenserwartung sehr gering und liegt häufig nur bei 45 Jahren. Ein großer Prozentsatz der Kinder stirbt vor dem Erreichen des dritten Lebensjahres. Fehl- und Mangelernährung, Alkoholismus und Drogenprobleme und als deren Folge bzw. Ursache Depressivität, elende Lebensbedingungen und eine erhöhte Zahl von Autounfälle (in Nordamerika) kommen als weitere Todesursachen hinzu. Lässt sich unter diesen Umständen vom indianischen Umgang mit dem Tod etwas lernen? Wie ich eingangs erwähnte, mußten Indianer schon immer gern als Schablone für die Sehnsüchte kulturkritischer Europäer herhalten - seit den Zeiten von Rousseau hat sich darin nichts Wesentliches geändert. Dennoch kann m.E. die Spiritualität indigener Völker - nicht nur in Amerika, sondern auch traditioneller Gesellschaften in Afrika, Asien, Australien und Ozeanien - der europäisch geprägten Kultur einige ganzheitlich geprägte Hinweise auf den Umgang mit Leben und Tod, welche keinesfalls als bloße Kopien übernommen werden, sondern vielmehr Anregungen für eigene kreative Lösungen darstellen sollten. Quellen AFFENTRANGER, André, BREDOW, L., PRODUCTORA DE VIDEO TARPUY: Kaypi tukuy maskuna kanchis (Hier sind wir alle Freunde). Videofilm, Cochabamba, Basel 1994-95, 50 Minuten. CIPOLLETTI, María Susana; Ute RITZ-MÜLLER: Langsamer Abschied. Tod und Jenseits im Kulturvergleich. Museum für Völkerkunde, Frankfurt am Main 1989 [darin: "5. Mittel- und Südamerika", S. 201-277]. 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