ücherbriefe neue wiener
Transcrição
ücherbriefe neue wiener
neue wiener ücherbriefe 2/2007 Die Rezensionszeitschrift der Büchereien Wien „Richard Powers hat mit Das Echo der Erinnerung sein bislang bestes Werk vorgelegt, das in diesen Tagen mit dem National Book Award bedacht wurde.“ Frankfurter Rundschau „Ein Bilderbuchleckerbissen für Kinder – und Erwachsene, die es im Herzen geblieben sind“ Giovanna Riolo, Zürich Editorial ..........................................2 Belletristik .......................................3 Sachbuch ......................................14 Kinder- und Jugendbuch ..............25 2 „ich bin ein Editorial“ ...sagte das Editorial, das noch keines war. Es war sich durchaus bewusst, dass es mit dieser Aussage soeben ein Paradoxon geboren hatte. Wie nämlich konnte ein Editorial, das es gar nicht gibt, von sich behaupten, ein Editorial zu sein? Und noch fragwürdiger: Wie konnte ein nicht existierendes Editorial ein Bewusstsein haben - ein Bewusstsein obendrein, das nicht nur die eigene Existenz, sondern ausgerechnet die Nicht-Existenz betraf? Nun, diese Fragen stellte sich das Editorial – und es musste an John Carpenters Science-Fiction-Parodie „Dark Star“ und den dort unternommen Versuch eines Austronauten denken, eine Bombe von ihrer Nicht-Existenz zu überzeugen und sie damit an der geplanten Selbstzündung zu hindern. Während das Editorial also solchen und ähnlichen mentalen Abschweifungen frönte, drängte sich eine weitere, bei weitem wichtigere Frage ins editorielle Gedankenspiel: Sollte ich, das Editorial einer Rezensionszeitschrift, nicht einen entsprechenden Belang signalisieren – einen rezensionellen Belang, gewissermaßen? Kaum gedacht, war diese Frage – verbunden mit der Nebenfrage, ob „rezensionell“ eine zulässige Begriffsableitung sei – aber auch schon abgedrängt. Da ich ja doch (noch) gar kein Editiorial bin, dachte sich das Editorial, brauche ich in keiner Weise von Belang zu sein. Mein einziger Belang ist meine Nicht-Existenz. Und so lehnte es sich zurück, das Editorial, und fühlte sich in seiner Lage, die ja eigentlich eine Nicht-Lage war, durchaus wohl. Seitdem wartet das Editorial, das keines war und noch immer keines ist, darauf ein Editorial zu werden. Doch es wartet mit der Gelassenheit eines Editorials, das nichts zu verlieren hat, weil es (noch) nichts ist. Das Nichts Impressum Öffnungszeiten Adressen Medieninhaber und Verleger Verein der Freunde der Büchereien Wien, unterstützt von der Magistratsabteilung 13. Büchereien Wien Am Gürtel Mo–Fr 11.00–19.00 Uhr Sa 11.00–17.00 Uhr Stützpunktbüchereien: 3., Erdbergstr. 5–7, Tel.: 711 34/ 03161 • 4., Favoritenstraße 8, Tel.: 50234/ 04-161 • 12., Meidlinger Hauptstraße 73 (Arcade), 4000 12160 • 11., Dommesgasse 6, Tel.: 740 34/11165 oder 11166 • 19., Billrothstraße 32, Tel.: 360 34/19160 • 22., Bernoullistraße 1, Tel.: 21123/22161 Redaktion Redaktionsleitung: Dr. Erich Schirhuber. Redaktion: Dr. Walter Ertl, Eva Fritschen, Peter Interkörner, Rudolf Kraus, Mag. Claus Oszuszky, Beate Wegerer. Endredaktion: Mag. Robert Buchschwenter. Adresse von Medieninhaber und Redaktion Urban-Loritz-Platz 2a, 1070 Wien Tel.: (43 1) 4000-84502, Fax: (43 1) 4000-99510 E-Mail: [email protected] Grafik & Satz Mag. Robert Buchschwenter 1160 Wien, Ottakringer Straße 29/18 E-Mail: [email protected] Druck Buch- u. Offsetdruckerei Karl Werner KG, 1070 Wien, Lerchenfelder Straße 37; Tel.: 523 81 76 Abonnement Wer die „Neuen Wiener Bücherbriefe“ zugeschickt bekommen möchte, soll uns schreiben (Neue Wiener Bücherbriefe, Urban-Loritz-Platz 2a, 1070 Wien). Wir schicken Ihnen das Heft regelmäßig zu und legen dann und wann einen Erlagschein mit der Bitte um eine Spende bei. Im System der Büchereien Wien gibt es unterschiedlich große Filialen. Die Hauptbücherei ist die größte Bibliothek. Neben den sechs großen Stützpunktbüchereien existieren in nahezu allen Wiener Gemeindebezirken mittelgroße Bezirksbüchereien. Größere und kleinere „Zweigstellen“ komplettieren die Büchereistruktur. Die Filialen haben unterschiedliche Buchbestände. Sollten Sie die gewünschten Bücher in Ihrer Zweigstelle nicht bekommen, gibt es die Möglichkeit, über die Ringleihe zu den gewünschten Titeln zu kommen. Fragen Sie Ihre(n) BibliothekarIn! Meidlinger Hauptstraße 73 Mo–Fr 11.00–19.00 Uhr Stützpunktbüchereien und Bücherei Liesing (Breitenfurter Straße 358) Mo und Fr 11.00–18.00 Uhr Di, Mi, Do 14.00–18.00 Uhr Bezirksbüchereien und Zweigstellen Montag 10.00–12.00 14.00–19.00 Dienstag 14.00–18.00 Mittwoch geschlossen Donnerstag 10.00–12.00 14.00–18.00 14.00–18.00 Freitag Uhr Uhr Uhr Uhr Uhr Uhr Direktion der Büchereien Wien Am Gürtel (Hauptbibliothek) Urban-Loritz-Platz 2a, 1070 Wien Tel.: (+43 1) 4000 84500 Sie können unseren Buchbestand auch direkt über Internet abrufen: http://www.buechereien.wien.at unter den Angeboten der Stadt Wien im Internet „Wien Online“ im Verzeichnis Kultur unter „Literatur, Bibliotheken und Archive“ Bezirksbüchereien: 2., Zirkusgasse 3, Tel.: 214 64 80 • 2., Engerthstraße 197/3, Tel.: 21 106/02-161 • 5., Pannaschgasse 6, Tel.: 54 634/05161 • 6., Gumpendorfer Straße 59–61, Tel.: 58 72 830 • 10., Ada-Christen-Gasse 2, Tel.: 689 19 66 • 10., Laxenburger Straße 90a, Tel.: 605 34/10161 • 13., Hofwiesengasse 48, Tel.: 80 40 676 • 14., Hütteldorfer Straße 130, Tel.: 870 34/14 161 • 14., Linzer Straße 309, Tel.: 416 59 37 • 15., Schwendergasse 39–43, Tel.: 893 69 47 • 16., Schuhmeierplatz 17, Tel.: 49 25 126 • 16., Rosa-Luxemburg-Gasse 4, Tel.: 48 66 144 • 17., Hormayrgasse 2, Tel.: 401 19/17-160 • 18., Weimarer Straße 8, Tel.: 405 42 90 • 20., Pappenheimgasse 10–16/5, Tel.: 333 10 52 • 21., Brünner Straße 36, Tel.: 278 13 45 • 23., Anton-Baumgartner-Straße 44, Tel.: 667 89 03 • 23., Breitenfurter Straße 358, Tel.: 865 26 38 Zweigstellen: 3., Fasangasse 35–37, Tel.: 798 99 70 • 3., Rabengasse 6, Tel.: 715 71 54 • 9., Simon-Denk-Gasse 4–6, Tel.: 315 48 66 • 10., Hasengasse 38, Tel.: 60 73 311 • 11., Rosa-Jochmann-Ring 5/1/2, Tel.: 740 34/11160 • 12., Am Schöpfwerk 29/7, Tel.: 667 89 49 • 15., Hütteldorfer Straße 81a, Tel.: 982 41 95 • 19., Heiligenstädter Straße 155, Tel.: 318 67 24 • 19., Hutweidengasse 24, Tel.: 367 94 77 • 20., Leystraße 53, Tel.: 332 07 37 • 21., Kürschnergasse 9, Tel.: 259 85 20 • 21., Brünner Straße 138, Tel.: 292 88 42 • 22., Erzherzog-Karl-Straße 169, Tel.: 285 65 51 • 22., Schüttaustraße 39, Tel.: 269 32 51 • 22., Siegesplatz 7, Tel.: 280 84 10 Bücherbus Ausfahrt Montag bis Freitag 14.00–18.00 Uhr Tel.: 4000/84571, 84572, 84573 Hausbesuchsdienst Tel.: 4000/84 5 22 3 BelletristikBücher aus Österreich Erdheim, Claudia: Längst nicht mehr koscher. Die Geschichte einer Familie Wien: Czernin 2006. 417 S., € 24,80 Vermögend geworden durch Erdöl, kann Moses Hersch aus Boryslaw im galizischen Erdölgebiet allen seinen fünf Söhnen eine gute Ausbildung finanzieren. Zwei von ihnen promovieren in Wien zu angesehenen Medizinern, ein anderer baut sich ebendort eine Existenz als Kaufmann auf und zwei weitere bleiben in Galizien. Mit der Religion nehmen es die einen wie die anderen schon lange nicht mehr so genau. Ihre gesellschaftliche Stellung und ihr Ansehen helfen ihnen aber wenig gegen den allgegenwärtigen Antisemitismus, der ab 1938 im okkupierten Österreich und ab 1941 auch im von den Nazi-Armeen eroberten Galizien Staatsdoktrin wird. Diskriminierung, Verfolgung und Mord machen auch vor den Brüdern Erdheim und ihren Nachkommen nicht Halt. Claudia Erdheim lässt ihre Familiengeschichte 1945 mit der Befreiung durch die Rote Armee enden. Sie schreibt diese Geschichte, die ja ihre eigene ist, nüchtern und distanziert im Präsens und arbeitet zeitgeschichtliche Dokumente und erhalten gebliebene Briefe ihrer Familienangehörigen ein. Nur beiläufig wird erkennbar, dass es sich bei der weiblichen Hauptperson Tea, einer von Moses’ Enkelinnen, um Claudia Erdheims Mutter Thea Erdheim handelt. Leider hat bei diesem packenden und erschütternden Buch das Lektorat oft ausgelassen, sodass etwa aus dem österreichischen Nazibundeskanzler Seyss-Inquart ein Seiss-Inquart wird. Rudi Hieblinger Riess, Erwin: Der letzte Wunsch des Don Pasquale oder Giordanos Bitte Salzburg u.a.: Otto Müller 2006. 392 S., € 22,00 Von Joe Giordano, einem anonymen Fädenzieher aus Amerika, bekommt der rollstuhlfahrende Detektiv Groll den Auftrag, einem todkranken alten sizilianischen Mafiaboss seinen letzten Wunsch erfüllen: Don Pasquale möchte vor seinem Tod noch einmal seine Enkeltochter Angelina sehen. Diese befindet sich wohl behütet in einem Heim für autistische Kinder in Triest. Um sie von dort auf legale Weise nach San Cipirello zu bringen, müsste man sich erst mit ihrem Vater, einem norditalienischen Polizeipräsidenten und Todfeind von Don Pasquale, einigen. Eine Entführung Angelinas erscheint also als der einzige Ausweg. Keine leichte Aufgabe, denn wie wird das autistische Mädchen auf diesen Plan reagieren? In Triest eingelangt, kann sich Groll auf die zahlreichen guten Verbindungen Don Pasquales stützen. Auch mit Angelina freundet er sich rasch an. Das Mädchen scheint – abgesehen von einem Zählzwang – recht vernünftig zu sein. Die Dinge laufen gut und Groll kann sich sogar ein wenig Urlaub gönnen, was seinen Auftraggeber Giordano zur Weißglut bringt. Doch das Verhängnis naht in zweierlei Gestalt: Auf der einen Seite bekommt es Groll mit zwei österreichischen Neonazis zu tun, die hinter Angelina her sind, auf der anderen Seite naht als ebenso überraschende wie unliebsame Unterstützung, vom ungeduldigen Giordano auf den Weg geschickt, „der Dozent“, bereits aus einem früheren Roman als Grolls kongenial-kontroverser Partner bekannt. Das Ganze führt zu einer wüsten Verfolgungsjagd quer durch Italien, bis die Neonazis erledigt sind und Don Pasquale seine geliebt Enkelin in die Arme schließen kann. Das Geschehen wird aus der Perspektive Grolls erzählt, der die Handlung mit zahlreichen Reflexionen aus seiner Rollstuhlfahrer-Perspektive würzt. Dazwischen beleuchten die Kommentare Giordanos, der Grolls Fortschritte bzw. sein Versagen beobachtet, das Geschehen aus einer ganz anderen Perspektive. Sogar der Schluss des Romans existiert in zwei Varianten. Ein unterhaltsam-origineller Kriminalroman des österreichischen Autors. Karin Claudi Breitenfellner, Kirstin: Falsche Fragen Innsbruck u.a.: Skarabaeus 2006. 231 S., € 19,90 Anhand der beiden Freundinnen Teresa und Maya, die sich seit Sandkistenzeiten kennen, beschreibt die Autorin in ihrem zweiten Prosaroman die völlig konträren Versuche zweier Frauen, dem Leben Gestalt, Sinn und Zielrichtung zu geben. Maya scheint plötzlich ihre Gewissheit im Glauben gefunden zu haben, während Teresa, Kreativdirektorin einer Werbeagentur, unverheiratet ihren Spaß mit ihrem Freund Max, einem Lichtdesigner, genießt. Die eine folgt also ihren Lebensgenüssen, die andere ihrem Mann ins „Bergland“, die Heimat des Gipfelkults am Fuße des Himalaya. Dass es sich bei Mayas neuem Glauben um den ziemlich obskuren „Gipfelkult“ einer Sekte handelt, die ihre Erlösung durch außerirdische „Boten des Lichts“ erhofft, macht es für Teresa nicht gerade einfacher, sich seriös mit Mayas neu gewonnener Religiosität auseinanderzusetzen. Nach Jahren der Trennung begegnen sich die beiden Frauen wieder. Die Autorin bringt das Thema der „Parallelgesellschaft“ oder des „Clashs der Kulturen“ auf eine persönliche Ebene, ohne dabei auf humorvolle Distanz zu verzichten. Ihre Protagonistinnen sind keine leblosen Konstrukte, sondern Menschen mit Sympathien und Fehlern, deren unterschiedlichen Lebensläufe mit Interesse und Spannung zu verfolgen sind. Willi Saar Bücher aus ÖsterreichBelletristik 4 Unterrader, Sylvia: Distanzen St. Pölten: Literaturedition Niederösterreich 2006. 142 S., € 17,90 Mathilda wurde vor Jahren verlassen, sie trauert noch immer jenem Michael nach, der sie wegen einer anderen Frau sitzen ließ. Sie begibt sich auf die Suche nach Margarete, die sie mit ihrer Lebendigkeit beeindruckt hatte und die auch damals, als die Beziehung in Brüche ging, aus ihrem Leben verschwand. Margarete lebt mittlerweile in der Nähe von Florenz, wohin sie sich zurückgezogen hat, um zur Ruhe zu kommen, um zu sich zu finden. Sie ist von Schuldgefühlen geplagt, war sie doch jene Frau, derentwegen Michael sich von Mathilda trennte. Auch Vera, eine gemeinsa- me Bekannte, ist auf der Suche nach einem Heim, das Geborgenheit vermittelt. Bei ihr treffen schließlich die Verbindungen zusammen. Die Niederösterreicherin Sylvia Unterrader ist eine interessante Vertreterin der heimischen Gegenwartsliteratur. Ihre Sprache ist schnörkellos und präzise. Die Gefühlswelten werden authentisch vermittelt. Die Figuren bleiben unscharf, sie sind als Vertreterinnen von Frauentypen zu sehen. Sie bleiben auf sich gestellt, sind auf der Suche, ruhelos und ständig in Bewegung, wollen einen Ort finden, an dem sie sich zu Hause fühlen können. Das schmale Bändchen, das leicht zu lesen ist, ist unspektakulär im positiven Sinn. Monika Nebosis Missetaten ums Eck Komarek, Alfred: Narrenwinter Innsbruck: Haymon 2006. 199 S., € 17,90 Der einstige Starreporter Daniel Käfer ist arbeitslos. Deshalb übersiedelt er von München ins Ausseer Land. Dort will er ein Buchprojekt über den Fasching im Salzkammergut realisieren. Er trifft einen alten Feind aus der Schulzeit, der ihm die Aussicht auf ein Verlagsprojekt eröffnet, in dem der skeptisch reagierende Daniel Käfer im Mittelpunkt stehen soll. Als Käfer bei einem Autounfall die Familie Köberl kennen und schätzen lernt, wittert er ein Geheimnis rund um eine Reihe eigenartiger Vorgänge. Von Faschingstreiben, Masken, Perchtenläufen und Trommelweibern umgeben, zieht er durch die Ausseer und Ebenseer Lokalszene. Immer mehr umnebeln sich seine Sinne, immer skurrilere Menschen scharen sich um ihn, immer turbulenter und verworrener nimmt Daniel seine Umwelt auf. Er glaubt einem großen, dunklen Geheimnis auf der Spur zu sein, das die Köberls umgibt. Doch spielen ihm seine Sinne nicht nur einen Streich? Alfred Komarek hat nach dem Gendarmen Polt mit Daniel Käfer wieder eine Kult-Figur entstehen lassen. Im vorliegenden dritten Roman rund um den Reporter und Schriftsteller lässt er seinen Protagonisten, benebelt von Existenzängsten, Beziehungskisten, geheimnisvollen Geschichten und nicht zuletzt vom Alkohol durch den Fasching im Salzkammergut treiben. Nicht ganz zufällig erhält ein Meister der skurillen Literatur, der auch hier gelebt hat, einen prominenten Platz in der Geschichte: Fritz von Herzmanovsky. Andreas Schleif Rossmann, Eva: Verschieden Ein Mira-Valensky-Krimi Wien: Folio 2006. 244 S., € 19,50 Die „Magazin“-Reporterin Mira Valensky bemerkt, dass ihre Freundin und Kollegin Gerda Hofer von deren Mann, einem angesehenen Wiener Arzt bedroht wird. In der Folge kommt es zwischen den beiden zur Scheidung, Gerda fühlt sich ausgenutzt und betrogen. Doch dann verunglückt der Exmann tödlich und damit beginnt der eigentliche Kriminalfall, den Mira Valensky unter tatkräftiger Mithilfe ihrer jugoslawischen Bedienerin Vesna aufklären kann. Miras Recherchen führen sie quer durch Wien – etwa in eine Arztpraxis, einen Steinbruch, und auch Gerda Hofer bleibt nicht von Verdächtigungen verschont. Auch in diesem Roman vermischt sich Kriminalistisches mit Kulinarischem, die Spannung zwischen Leben und Tod, zwischen Verbrechen und Aufklärung wird durch die Miras Kocheinlagen aufgelockert. Private Probleme werden in den Handlungsverlauf eingeflochten, und so nebenbei heiratet Mira ihren Oskar. Wie frühere Romane von Eva Rossmann ist auch dieser Krimi äußerst flüssig geschrieben und spannend bis zur letzten Seite: eine brillante Mischung aus Krimi und Kulinarik in Form einer homogenen, lesenswerten Mord(s)geschichte. Gabriele Saul Slupetzky, Stefan: Das Schweigen des Lemming. Lemmings dritter Fall Reinbek: Rowohlt 2006. 281 S., € 9,20 Leopold Wallisch, der „Lemming“, schlittert wider Willen in seinen dritten Ermittlungsfall. Ein Kriminalfall, der mit einem strangulierten Pinguin im Schönbrunner Tiergarten beginnt und mit zwei menschlichen Todesfällen, einem Selbstmord und einem Unfall, endet. Ein Pinguin muss sterben, weil ein Tierliebhaber – Pokorny, Nachtwächter im Tiergarten, ehemaliger Kunstaktivist und Kollege von Wallisch – zur Herausgabe der von Studenten als Aktion geraubten und ihm anvertrauten „Saliera“ gezwungen werden soll. Die Kunststudenten hatten es sich zur Aufgabe gemacht, den Kunstbetrieb ein bisschen aufzumischen. Der Scherz wird Ernst, als der Wert des berühmten Salzfasses einen der Studenten verführt, Kapital daraus zu schlagen ... Wallisch, der den Pinguin bei seiner Nachttour gefunden hat, kommt nur deshalb zu „seinem Fall“, weil der reiche Industrielle, Tierpate und Kunstmäzen Hörtnagel Interesse an der Pinguingeschichte zeigt und ihn als Ermittler engagiert. Der ahnungslose Wallisch hinkt den Entwicklungen hinterher, der Fall erledigt sich eigentlich fast von selbst. Die Verwicklungen dazwischen, die Vielzahl der auftretenden Wiener Originale, der Wechsel der detailreich geschilderten Schauplätze, schräge Typen aus Kunst-, Politik- und Unterwelt sowie die Verflechtungen zwischen Geld, Politik und Wirtschaft, füllen in einer manchmal amüsanten, manchmal auch recht derben und breiten Sprache 281 nicht immer spannungsgeladene Seiten. Der Autor wollte ein reales ungelöstes Verbrechen mit literarischen Mitteln klären. Doch wider Erwarten wurde der Fall überraschend gelöst. Trotzdem wurde das Manuskript veröffentlicht – und sehr weit weg von der Realität ist Slupetzky nicht. Elisabeth Duchkowitsch Belletristik Bücher aus Österreich Wieninger, Manfred: Kalte Monde Innsbruck: Haymon 2006. 240 S., € 18,90 Kalte Monde ist bereits der vierte Kriminalroman des Publizisten Manfred Wieninger (Standard, FAZ) mit dem mäßig erfolgreichen „Diskont-Detektiv“ Marek Miert. Miert lebt und ermittelt in Harland, einer fiktiven Landeshauptstadt in der österreichischen Provinz (tatsächlich ist Harland ein Ortsteil von St. Pölten). Im aktuellen Fall wird Miert vom Mitarbeiter eines Parlamentariers als Bodyguard angeheuert. Der zu beschützende Abge- 5 ordnete heißt Topf und ist Abgeordneter einer fremdenfeindlichen Law-and- OrderPartei. Mierts Ersparnisse sind so geschrumpft, dass er den Auftrag annimmt. Gleichzeitig setzt ihn der Vorsitzende des örtlichen Tierschutzvereins auf eine entlaufenen Katze an. Miert steigt auch hier ein. Aber es wäre nicht Miert, wenn er diese beiden Aufträge nicht ehebaldigst wieder zurücklegen würde. Statt dessen verpflichtet er sich einer 83-jährigen Kommunistin und Altersheiminsassin an, ihren seit Kriegsende verschollenen Bruder ausfindig zu machen. Inzwischen holt ihn jedoch seine Vergangenheit als Polizist ein. Miert ist unter äußerst unschönen Umständen aus dem Polizeidienst geschieden und jetzt brauchen ein paar einflussreiche Persönlichkeiten gerade ihn um einen seiner ehemaligen Kollegen von der Karriereleiter zu schubsen. Wieninger strapaziert schon sehr viele Klischees, um die Zustände in der Provinz darzustellen und auch sein Wortwitz wirkt manchmal ein wenig bemüht, dennoch ein unterhaltsamer, gut lesbarer und somit empfehlenswerter Krimi aus Österreich. Günther Badstuber dessen Mutter. Alle zusammen versuchen nun, das Rätsel des Testaments zu lösen und kommen zunächst immerhin dem gesuchten Geschäftsmann auf die Spur ... Eine durchaus ansprechende Lektüre, die sich gut für sommerliche Lesestunden eignet. Einen Sonderpreis für Originalität sollte die Autorin noch für ihre Idee erhalten, Rembrandt und Wallenstein in ein und demselben Roman vorkommen zu lassen. Isolde Grabner Gewürzhandel modernisieren will, bekommt jedoch unerwartete Konkurrenz durch den angeblichen Müssiggänger und Lebemann Robert Iserbrook, der als jüngerer Sohn nach Justus’ plötzlichem Tod das väterliche Firmenimperium übernehmen will ... Die Hamburger Autorin Christa Kanitz, die nach ihrem Psychologiestudium längere Zeit im Ausland lebte, bevor sie in Hamburg als Journalistin für den Südwestfunk Baden-Baden und verschiedene Zeitungen arbeitete, bleibt in Die Venezianerin ihrem Thema treu: Nach dem vierbändigen Familienepos über die Hamburger Kaufmannsfamilie Stelling erscheint nun der erste Band einer neuen Hamburger Familienchronik, in deren Mittelpunkt die ebenso entschlossene wie geschäfttüchtige Silvana Iserbrook steht, die mit allen Mitteln um das Erbe ihrer Kinder kämpft und sich auch durch Schicksalsschläge und Intrigen nicht von ihrem Ziel abhalten lässt. Neben der eigentlichen spannenden und unterhaltsamen Romanhandlung vermittelt Kanitz ihren Leserinnen Wissenswertes über die Gepflogenheiten und das Leben der hanseatischen Kaufleute im Hamburg des 19. Jahrhunderts. Sie überzeugt dabei mit differenzierten und vielschichtigen Charakterschilderungen ihrer ProtagonistInnen. Neben den Iserbrooks werden auch wichtige leitende Angestellte und das Dienstpersonal überzeugend dargestellt. Dagmar Feltl Anno dazumal Glan, Katja von: Rembrandts Garten München: Nymphenburger 2006. 415 S., € 23,60 Anstatt von seinem Vater wenigstens nach dessen Tod die Anerkennung als einzig wohlgeratener Sohn zu erfahren, sekkiert der Verstorbene den jungen niederländischen Maler Marten auch noch mit einem verklausulierten Testament. Nachdem diese Tatsache mit Freund Rembrandt in einer Schenke bei ausgiebig Bier beweint worden ist, ist das vermaledeite Schriftstück auch schon wieder weg. Von Marten im Suff vergessen, hat es Rembrandt zuerst an sich genommen, dann als Skizzenblatt missbraucht – und im Anschluss dem porträtierten Geschäftsmann mit nach Stralsund gegeben. Um an die erhoffte Erbschaft zu gelangen, bleibt Marten nichts anderes übrig, als sich ebenfalls an die Ostsee zu begeben – im Jahr 1628 kein ungefährliches Unterfangen, wird Stralsund doch von Wallensteins Truppen belagert. Kaum angekommen, wird Marten auch schon überfallen und beinahe zu Tode geprügelt; zu seiner Rettung erscheint aber glücklicherweise die Tochter der städtischen Hebamme, Flora. Flora und ihre Mutter Alwine nehmen den Verletzten für die Dauer der Belagerung bei sich auf, ebenso wie den von Alwine vorgesehenen Heiratskandidaten für Flora, dazu ein vermeintliches Waisenkind sowie im weiteren Verlauf Kanitz, Christa: Die Venezianerin. Die Gewürzhändler-Saga München u.a.: Langen Müller 2006. 320 S., € 20,20 Hamburg 1815: Justus Iserbrook hat gemeinsam mit seinem Bruder Clemens und seinen erwachsenen Kindern Moritz, Robert und Johanna ein florierendes Handelsunternehmen mit Gewürzen aufgebaut. Als sein ältester Sohn und Firmenerbe Moritz während seiner Reise nach Hamburg bei einem Schiffsunglück ums Leben kommt, zwingt Justus Iserbrook seine venezianische Schwiegertochter Silvana und ihre drei Kinder nach Hamburg zu übersiedeln, da seine Enkel nach Justus’ Tod den Gewürzhandel erben sollen. Die noch junge und schöne Italienerin willigt schliesslich ein, um einem einsamen Leben als trauernde Witwe zu entgehen. Silvana, die mit der Hilfe von Clemens adliger Frau Mathilde den Iserbrook’schen Anno dazumalBelletristik 6 Rutherfurd, Edward: Die Rebellen von Irland Aus dem Englischen München: Blessing 2006. 766 S., € 25,70 Die Rebellen von Irland ist der zweite und abschließende Teil der Dublin-Saga, in welcher die Geschichte der Grünen Insel an Hand von Familienportraits nachgestaltet wird – hier der Zeitraum von 1597 bis 1922. Im Mittelpunkt der Handlung stehen die Mitglieder der Familie Walsh, welche in einem Zeitalter, das von kämpferischen Auseinandersetzungen zwischen irischen Katholiken und protestantischen Engländern geprägt ist, eine gemäßigt tolerante Position vertritt. Während andere Familien (bekannt aus Die Prinzen von Irland, dem ersten Band der Saga) an den Glaubenskriegen entweder skrupellos verdienen oder sich darin bis zur Auslöschung aufreiben, gelingt es der Familie Walsh über die Jahrhunderte, politisch, religiös und gesellschaftlich autonom zu bleiben, so dass sie gegen Ende des 18. Jahrhunderts einen Sitz im irischen Parlament inne haben. Sie gehören zu jenen Iren, die durch eine friedliche Politik die politische Abkoppelung von England erreichen wollen (was erst durch die Freiheitskämpfe von 1922 gelingt). Edward Rutherfurd bleibt auch im vorliegenden Band seinem Erzählprinzip treu, Geschichte in einzelnen Familienepisoden realistisch nachzuzeichnen. Der Autor deckt hier dem Thema gemäß in bester irischer Erzähltradition ein breites Spektrum an Emotionen ab. Karten und Familienstammbäume erleichtern das Zurechtfinden in dem 760 Seiten starken Band. Hermann Gamauf Schweikert, Ulrike: Das Siegel des Templers München: Blanvalet 2006. 603 S., € 20, 60 Der Templerorden ist der zweite geistliche Ritterorden, der in der Folge der Kreuzzüge entstanden ist. Er beschäftigt sich nicht nur mit dem Kriegshandwerk, sondern ist auch finanziell erfolgreich tätig und Inhaber von in ganz Europa ausgedehnten Besitztümern. Sein Reichtum und seine übernationale, nur dem Papst verantwortliche Ideologie, wird dem Orden zum Verhängnis. Es ist eine Vielzahl historischer Roma- ne knüpfen an alte Templerlegenden und moderne Verschwörungstheorien an, doch der vorliegende Band hat damit, dem Titel zum Trotz, nur am Rande zu tun. Hauptfigur ist das „Ritterfräulein“ Juliana von Ehrenberg, das sich, als Knappe verkleidet und umgeben von vier männlichen, undurchsichtigen Büßern, auf einen Pilgerweg begibt, um den Spuren des Vaters zu folgen, der als Mörder eine Bußfahrt unternehmen muss. Das Mädchen hat Zweifel an der Schuld des Ritters und möchte von ihm die Wahrheit erfahren. Auf dieser langen und abenteuerlichen Reise muss Juliana eine Vielzahl von schwierigen Situationen meistern und gerät in eine lang geplante Verschwörung. Der auf zwei Zeitebenen spielende Roman, mit einer starken Frauenfigur als dominierende Protagonistin, gibt einen interessanten Einblick in das mittelalterliche Pilgerwesen, da der gesamte Reiseverlauf bis nach Santiago viele Informationen beinhaltet. Die Charaktere sind eindringlich gezeichnet und der historische Hintergrund der manchmal nicht ganz realistisch wirkenden Geschehnisse ist gut aufbereitet. Renate Zeller Furcht und Schrecken Higgins Clark, Mary: Weil deine Augen ihn nicht sehen Aus dem Amerikanischen München: Heyne 2006. 397 S., € 20,60 Die Frawleys sind erst kürzlich von New York in ein großes Haus in einer Kleinstadt übersiedelt. Das junge Paar mit den bezaubernden dreijährigen Zwillingen wurde wohlwollend in der Gemeinde aufgenommen und ist allgemein beliebt. Umso mysteriöser erscheint es, als die beiden kleinen Mädchen aus dem Haus geraubt werden. Die in der Folge gestellte horrende Lösegeldforderung wird von Steve Frawley´s Firma nach einigem Zögern bezahlt. Doch nur eines der beiden Mädchen kommt frei. Ihre Schwester hat die Entführung angeblich nicht überlebt. Die Handlung bewegt sich auf mehren Ebenen, so dass die LeserInnen auf verschiedenen Fronten nah am Geschehen sind. Nach dem reibungslosen Ablauf der Entführung und den routiniert beginnenden Ermittlungen, gerät die sorgfältige Planung des Entführers plötzlich außer Kontrolle. Die junge Frau, welche die Kinder während der Zeit der Entführung betreuen soll, erweist sich als neurotisch und extrem unzuverlässig. Sie beseitigt nicht nur einen der Mittäter, sondern behält auch eines der Mädchen, da ihr ein eigenes Kind verwehrt blieb. Damit jedoch gerät sie in einen irritierenden Strudel von Komplikationen, der ihre Fähigkeiten bei weitem überfordert. Schon bald empfindet sie das mittlerweile kranke Kind als ungeheure Belastung ... Wie die ermittelnden Agenten, tappen auch die LeserInnen im Dunklen, denn die Autorin hat ihre verschiedenen Täter zu Beginn der Handlung mit Decknamen versehen. Erst nach und nach werden die Verbindungen zwischen den Namen hergestellt. Vermischt mit parapsychologischen Phänomenen und aufgepeppt mit Überraschungsaktionen couragierter Einzelpersonen bleibt die Handlung bis zum Schluss spannend. Wie sämtliche der zahlreichen Vorgängerbände der bekannten amerikanischen Autorin ist auch der vorliegende Krimi routiniert und unterhaltsam. Elisabeth Schögler BelletristikFurcht und Schrecken Camilleri, Andrea: Die Passion des stillen Rächers. Commissario Montalbano stößt an seine Grenzen Aus dem Italienischen Bergisch Gladbach: Lübbe 2006. 253 S., € 18,50 Eigentlich ist Commissario Montalbano nach einer Schussverletzung und einem dadurch bedingten Krankenhausaufenthalt noch im Krankenstand und wird von seiner Freundin Livia, die sich extra Urlaub genommen hat, umsorgt. Trotzdem bekommt er den Auftrag, bei der Lösung eines komplizierten Falles zu helfen und Ermittlungen anzustellen, was ihm gar nicht unrecht ist, da er sich schon reichlich langweilt. Auf einer abgelegenen Landstraße wird das Moped einer jungen Studentin gefunden. Da sie nicht nach Hause zurückkehrt, wo sie ihre todkranke Mutter pflegt, macht ihr Vater eine Vermisstenanzeige. Bald stellt sich heraus, dass sie entführt worden ist. Der geforderte Betrag ist von ihrer Familie niemals zahlbar. Die Entführer versuchen die Ermittler auf eine falsche Fährte zu locken, doch Montalbano vermutet die Hintergründe zu Recht im Umfeld der Familie. Warum Commissario Montalbano ausgerechnet in diesem Buch an seine Grenzen stoßen sollte, wie der Titel der deutschen Übersetzung suggeriert, bleibt unklar. In gewohnter Manier löst der sizilianische Kriminalist den Fall, der diesmal ganz ohne Mord und Totschlag und vollkommen unblutig und gewaltlos daherkommt. Trotzdem ist auch diesem Roman des beliebten sizilianischen Autors Andrea Camilleri eine ziemliche Spannung nicht abzusprechen, auch einige fast philosophische Einschübe hemmen den Lesefluss nicht. Ein kleines Meisterstück ist die seitenlange Beschreibung über die Funktion einer Spinne und ihres Spinnennetzes . Liesbeth Mansbart Fielding, Joy: Träume süß, mein Mädchen Aus dem Englischen München: Goldmann 2006. 415 S., € 20,60 Jamie Kellog ist knapp 30 Jahre alt und bekommt ihr Leben nicht wirklich in den Griff – weder beruflich noch in Liebesdingen. Sie ist Single, träumt von der großen 7 Liebe und tröstet sich manchmal mit verheirateten Männern. Mutter und Schwester halten sie für eine Versagerin und so fühlt Jamie sich auch. Nach einem weiteren frustrierend gelaufenen Tag setzt sich Jamie in eine Bar und begegnet dort Brad Fisher, einem charmanten jungen Mann, gut aussehend und liebenswert. Er überhäuft Jamie mit Komplimenten und verwöhnt sie. Jamie fühlt sich geschmeichelt, begehrt, und vor allem endlich von jemandem verstanden. Brad verführt Jamie, aber es bleibt nicht nur bei einer Nacht. Der wunderbare Brad schlägt Jamie eine gemeinsame Reise nach Ohio vor. Die romantisch veranlagte Jamie ist überglücklich, noch nie hat sie sich so geliebt und geborgen gefühlt. Sie vertraut Brad blind und lässt sich leidenschaftlich auf diese Liebesgeschichte ein. Dass sie dabei ihr altes unglückliches Leben hinter sich lässt, ist ihr ganz recht. Doch es beginnt eine Fahrt in einen Albtraum. Bald gibt Brads unberechenbares Verhalten, das hinter der liebenswürdigen Fassade auftaucht, ebenso Grund zum Zweifeln wie seine seltsamen Auskünfte über seine Vergangenheit. Aber wer denkt schon, dass es sich hier um einen gewalttätigen Psychopathen handelt? Erst als alles außer Kontrolle gerät und Jamie nur mehr als Brads Spielzeug fungiert, das er sich mit grausamen Methoden gefügig hält, muss sie erkennen, in welcher Gefahr sie sich befindet. In einer parallelen Erzählperspektive wird die Geschichte von zwei Frauen, die in der Mad River Road (so der Originaltitel des Romans) wohnen, geschildert. Beide sind dort hingezogen, um aus ihrem früheren Leben zu flüchten und leben dort mehr schlecht als recht mit ihren Söhnen, beide haben sie einiges zu verbergen. Bald wird offensichtlich dass Brads Reise zu einer der Frauen führt. Die Autorin setzt gern Psychopathen ein und versteht es Hochspannung aufzubauen und über lange Strecken zu halten – Fielding-AnhängerInnen werden sich freuen. Ein temporeicher und dramatischer Psychothriller mit überzeugend lebensechten Frauengestalten, in dem es um emotionalen Missbrauch und um weibliche Sehnsüchte und Ängste geht. Claudia Sykora-Bitter Cussler, Clive: Geheimcode Makaze Ein „Dirk-Pitt“-Roman Aus dem Amerikanischen München: blanvalet 2006. 508 S., € 22,60 Der Pazifikkrieg der 40er-Jahre geht seinem Ende zu. In zwei U-Booten müssen die Japaner ihre Geheimwaffe gegen die Amerikaner – eine Virenbombe, mit deren Hilfe sie einen Waffenstillstand zu erzwingen versuchten – zurücklassen. Als ein südkoreanischer Geschäftsmann, der in Wirklichkeit ein nordkoreanischer Spion ist, auf die Spur dieser Waffe kommt, heckt er einen teuflischen Plan aus. Mit Hilfe der Bombe möchte er einen Großteil der amerikanischen Bevölkerung vernichten, um im entstehenden Chaos Südkorea zu annektieren. Als die Amerikaner Wind von der Sache bekommen, tritt Dirk Pitt auf den Plan. Aufgrund seines Alters gibt er die Untersuchungen an seine Zwillingssöhne ab, die den Plan der Nordkoreaner vereiteln sollen. Dirk und Summer Pitt gelingt es in einer Reihe von spektakulären Abenteuern, das Problem zu lösen. Am Ende des Buches zeigt aber Dirk Pitt senior, dass er doch noch nicht ganz zum alten Eisen gehört, und er rettet schlußendlich wieder die Welt vor den Extremisten. Clive Cussler, als Autor von Spannungsgeschichten auf hoher See bekannt und beliebt, erzählt ein weiteres Abenteuer seines Helden Dirk Pitt, der altersbedingt langsam, aber sicher abtritt. Vielleicht schrieb auch deshalb Cusslers Sohn Dirk erstmals an einem seiner Romane mit. Andreas Schleif Furcht und SchreckenBelletristik 8 Jungstedt, Mari: An einem einsamen Ort Aus dem Schwedischen München: Heyne 2006. 352 S., € 19,50 Kaum ist auf der Ostseeinsel Gotland nach der blutigen Mordserie aus dem Vorjahr Ruhe eingekehrt, wird das Urlaubsparadies erneut von einer bestialischen Gewalttat erschüttert. Doch das enthauptete Pony bildet erst den Anfang einer rituell motivierten Blutspur, die Kommissar Knutas und seine Kollegen beschäftigt. In seinem nunmehr dritten Fall bekommt es der ambitionierte Kriminologe mit einer verschwundenen Archäologiestudentin zu tun, deren Wiedererscheinen für Aufregung sorgt: Ist sie doch nackt an einen Baum geknüpft – ertränkt, erhängt und mit einem Messer malträtiert. Und während die örtliche Mordkommission fieberhaft nach dem Täter fahndet, gibt es schon bald weitere Opfer ... Spannend und aufreibend schildert die gelernte Radio- und TV-Journalistin Mari Jungstedt die blutrünstigen Ereignisse rund um Kommissar Andres Knutas und knüpft damit nahtlos an ihre beiden Reihen-Vorgänger an. 16 Tage umfasst die Handlung des Psychothrillers, der, unterteilt in kurze, mit dem jeweiligen Datum versehene Kapitel, das grausame Geschehen bis zum ersehnten Höhepunkt treibt. Gänsehaut und Herzklopfen sind bei der Lektüre dieses Buches garantiert, das, glaubt man der Autorin, nicht das Letzte seiner Art sein wird und zudem schon bald auch via Fernsehen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden soll. Noch dieses Jahr wird der beliebte deutsche Schauspieler Walter Sittler die Rolle des Kommissars in einer TV-Produktion verkörpern. Doch nicht nur aus diesem Grund sei An einem einsamen Ort allen Krimifans empfohlen Martina Rényi Larsson, Åsa: Weiße Nacht Aus dem Schwedischen München: Bertelsmann 2006. 382 S., € 20,60 Es ist Mittsommernacht in Jukkasjärvi, einem kleinen Ort nahe Kiruna, zweihundert Kilometer nördlich des Polarkreises, als die Pastorin Mildred Nilsson gefunden wird – aufgehängt unter der Orgel ihrer Kirche. Sofort sind die Bilder des im Polarwinter ermordeten Predigers Viktor Strandgård wieder da. Und für die Anwältin Rebecka Martinsson werden Erinnerungen wach an die schlimmsten Stunden ihres Lebens: Bei den Ermittlungen zum Fall Strandgård (in Sonnensturm, dem ersten Kriminalroman von Åsa Larsson) hatte sie in Notwehr drei Menschen erschossen. Erst jetzt kommt der Zusammenbruch. Ihr Chef will sie vor dem endgültigen Absturz bewahren und schickt sie mit einem Kollegen nach Kiruna. Sie begegnet Pastor Stefan Wickström, Mildreds Nachfolger, entdeckt einen Safe mit Drohbriefen an die ermordete Pastorin und wird mit dem Hass konfrontiert, der Mildred wegen ihres Engagements für Frauen in Notlagen entgegenschlug. Kommissarin Anna-Maria Mel- la, die Rebecka bereits kennt, hat ihren Urlaub abgebrochen und sieht sich einem gefährlichen Gemisch aus enttäuschter Liebe und hilflosem Hass gegenüber. Dann verschwindet plötzlich Pastor Wickström und die Situation eskaliert … Wie schon in ihrem ersten Roman so gelingt es Åsa Larsson auch in Weiße Nacht in einer präzisen und dichten Sprache (vielen Dank an Gabriele Haefs für die Übersetzung aus dem Schwedischen!) nicht nur einen spannenden Krimi, sondern auch ein Stück „große“ Literatur zu schreiben. So werden Naturbeschreibungen, eine der schwierigsten Textgenres überhaupt, zu einem wichtigen und unverzichtbaren Bestandteil der Erzählhandlung. Thomas Pöltl Kellerman, Faye: Und da war Finsternis Aus dem Englischen München: Bertelsmann 2006, 446 S., € 19,95 Die erfolgreiche amerikanische Autorin Faye Kellerman, ausgebildete Zahnärztin und verheiratet mit Bestsellerautor Jonathan Kellerman, wurde vor allem durch ihre Kriminalromane rund um das Ermittlerduo Lazarus/Decker bekannt. Während diese Serie in ihrer Heimatstadt Los Angeles angesiedelt ist, wechselt sie mit ihrem jüngsten Opus, dem historischen Kriminalroman Und da war Finsternis, sowohl Schauplatz wie auch Genre. Die Erzählung führt uns ins München des Jahres 1929. Die politisch aufgeheizte Stimmung der späten Weimarer Republik bildet den Hintergrund der Ereignisse. Am Eingang des Englischen Gartens wird eine Frauenleiche gefunden. Inspektor Axel Berg identifiziert die mit einem Seidenstrumpf erdrosselte und zuvor vergewaltigte Frau als Anna Gross, Gattin eines wohlhabenden jüdischen Geschäftsmannes. Gross, der angibt, nichts von der nächtlichen Abwesenheit seiner Frau bemerkt zu haben, wird von seinem Schwiegervater, einem Bankier, der stets gegen diese Verbindung war, der Tat bezichtigt. Berg ermittelt trotz politischen Drucks seiner Vorgesetzten weiter und entdeckt, dass das mit kommunistischen Kreisen sympathisierende Mordopfer in der Tatnacht mit einem Unbekannten ein Kabarett besucht hatte. Eine kurz danach ebenfalls im Englischen Garten aufgefundene zweite Frauenleiche gibt Bergs Ermittlungen neue Nahrung. Doch durch seine Weigerung, den Juden Gross ohne Beweise der Anklage auszuliefern, gerät der politisch liberale Gross immer mehr ins Visier der fanatischen Faschisten ... Kellerman hat für dieses Buch eingehend recherchiert und kann mit einem plastischen Zeitbild beeindrucken. Ihr Inspektor Berg ist kein strahlender Held, vielmehr ein Kind seiner Zeit, mit Mängeln und Obsessionen, der seine Erfolge nicht zuletzt den damals noch jungen Ideen der Psychoanalyse verdankt. Dennoch ist der Plot nicht gerade überzeugend und verspricht mehr, als er letztlich hält. Reinhard Stöger BelletristikFurcht und Schrecken McDermid, Val: Das Moor des Vergessens München: Droemer 2006. 536 S., € 20,50 Eine 200 Jahre alte Moorleiche und ein verschollen geglaubtes Gedicht des englischen Dichters William Wordsworth sind die Zutaten für den atmosphärisch dichten Roman der Erfolgsautorin Val McDermid. Im Lake District wird eine Moorleiche mit auffälligen Tätowierungen aus der Südsee entdeckt. Bei dem Toten handelt es sich also wahrscheinlich um einen Seefahrer, und diese Tatsache gibt dem alten Gerücht neue Nahrung, dass Fletcher Christian, berühmter Meuterer auf der Bounty, einst von der Insel Pitcairn geflohen ist und seinen Lebensabend heimlich in seiner alten Heimat verbracht hat. Als die junge Literaturwissenschaftlerin Jane Gresham von dem Leichenfund in ihrem Heimatdorf erfährt, setzt sie alles daran, ihre Theorie zu beweisen, dass Fletcher Christian nach seiner Rückkehr seinem Jugendfreund Wordsworth seine wahre Geschichte erzählt und der Dichter daraus ein Gedicht gemacht hat, welches leider verschollen ist. Als Jane endlich die Nachfahren jener Dienstmagd ausfindig macht, der Wordsworth einst ein geheimes Dokument zur Aufbewahrung anvertraut hatte, beginnt bei den alten Leuten das große Sterben. Als auf sie selbst ein Anschlag verübt wird, muss sie erkennen, dass noch je- 9 mand anderer hinter dem Gedicht her ist, und dieser jemand ist zu allem bereit ... Gekonnt vermischt die Autorin Historie und Fiktion, allerdings hat McDermid LiebhaberInnen blutrünstiger Kriminalromane schon spannendere Werke beschert. Gabi Stolba Nesser, Hakan: Die Fliege und die Ewigkeit Aus dem Schwedischen München: btb 2006. 317 S., € 20,60 KrimileserInnen ist Hakan Nesser vor allem als Schöpfer von Kommissar Van Veeteren ein Begriff. Der skandinavische Autor hat aber auch etliche andere Krimis geschrieben, einer davon ist Die Fliege und die Ewigkeit. Er erschien bereits 1999 und liegt jetzt in Übersetzung vor. Der Bibliothekar Maertens lebt allein und zurückgezogen. Seine Freizeit verbringt er damit, Klassiker abzuschreiben. Zuweilen spielt er Schach mit einem Arbeitskollegen, gelegentlich trifft er sich mit seiner Ex-Frau. Und er erhält regelmäßig seltsame Anrufe ... Maertens hat Jahre im Gefängnis verbracht. Nun ist er entlassen. Doch die Vergangenheit holt ihn ein, als er in der Zeitung vom Tod des bekanten Philosophen Tomas Borgmann erfährt. Tomas war sein Studienkollege und Freund. Als die Besten ihres Jahrganges hatten beide Aussicht auf eine glänzende Zukunft. Bis Maertens in das Haus ihres Professor eindrang und den gemeinsamen Protegé im Bett erschlug. Während Tomas die Tochter des Ermordeten heiratete, wanderte Maertens ins Gefängnis. Nun bittet die Witwe Borgmann den Mörder ihres Vaters zu sich in ihr Haus am Meer: Tomas hat seinen alten Freund testamentarisch bedacht. Zunächst lernen die LeserInnen den trostlosen Alltag des Protagonisten kennen. Erinnerungen an die Kindheit und den Gefängnisaufenthalt vervollständigen das Bild einer düsteren Persönlichkeit. Dieses Bild wandelt sich, als Maertens im Haus am Meer seine Studienzeit Revue passieren lässt: Der junge Student verfällt dem Charme seines skrupellosen Kollegen Tomas. Der hat nur den eigenen Vorteil im Sinn und schreckt nicht davor zurück, den Freund ins Verderben zu schicken. Wer sich durch den eher zähen Anfang gelesen hat, wird mit aufkommender Spannung belohnt. Philosophische Exkurse halten diese jedoch im Zaum. Langsam zeichnet sich ein mögliches Motiv für die Tat ab. Sowohl Täter als Opfer sind kaltblütig berechnend. Zwischen diese beiden gerät der naive Maertens und bleibt als der Betrogene zurück. Elisabeth Schögler Peters, Elizabeth: Die Schlangenkrone Aus dem Englischen Berlin: Schröder 2006. 366 S., € 20,60 Luxor, Jänner 1922: Jahrelang musste das ArchäologInnenpaar Amelia Peabody und Radcliffe Emerson auf eine der begehrten Grabungslizenzen im altägyptischen Theben warten. Endlich ist es wieder soweit, da taucht eine exaltierte Schriftstellerin in das Haus am Nil auf. Sie drängt Emerson die goldene Statue eines unbekannten Pharaos auf, die angeblich mit einem Fluch behaftet ist, bereits den Tod ihres Mannes verursacht habe und nun auch ihr gefährlich zu werden drohe. Während Amelia das Ganze für einen Publicity-Gag hält und Emorson die Herkunft der Statue zu untersuchen beginnt, zieht das augenscheinlich immens wertvolle Stück zusehends nicht nur professionelle Neugier auf sich. Amelia muss schließlich erkennen, dass hinter der Schauergeschichte mehr steckt als Aberglaube und Exzentrik und bald bewahrheitet sich wieder einmal ihr Motto: „Ein neues Jahr, eine neue Leiche“ ... Auch in ihrem mittlerweile siebzehnten Amelia Peabody-Abenteuer verwöhnt Elizabeth Peters ihre Lesergemeinde weniger mit Nerven zerfetzender Hochspannung denn mit der liebevollen literarischen Pflege ihrer doch recht skurrilen ProtagonistInnen. Das britische ArchäologInnenpaar, das einander konsequent beim Nachnamen, seine Kinder nach ägyptischen Herrschergestalten und sogar den Zimmertiger „Die Große Katze des Re“ nennt, bietet seinen Fans auch diesmal bewährte Krimikost der Marke „Agatha Christie light“: einen abenteuerlich-humorvollen Blick auf die Kolonial-Atmosphäre britischer „SalonArchäologie“ im Ägypten des frühen 20. Jahrhunderts – bekömmlich und nicht allzu scharf gewürzt. Isolde Grabner Furcht und SchreckenBelletristik 10 Silva, Daniel: Der Zeuge Aus dem Amerikanischen München: Piper 2006. 415 S., € 20,50 Daniel Silva war jahrelang CNN-Korrespondent. Seit einigen Jahren ist er erfolgreich mit seinen Büchern rund um den israelischen Agenten/Killer Gabriel Allon. Der Zeuge stellt den vorläufigen Abschluss der lose zusammenhängenden Trilogie dar, die mit Gabriel Allons Rekrutierung beginnt und den palästinensisch-israelischen Konflikt mitsamt den Verwicklungen Österreichs und der Schweiz während des Naziregimes zum Thema hat. Silvas Vorbilder liegen in der Spionageliteratur des Kalten Krieges. Trocken und humorlos geht es in seinen Büchern zu, und gerade dadurch wirkt sein Mix relativ neu, obwohl er es definitiv nicht ist. Sein Held Gabriel Allon ist kein Superagent, sondern von inneren Zerwürfnissen gepeinigt und letztendlich nur eine Marionette in einem viel zu großen Spiel. In Der Zeuge wird Wien während eines Wahlkampfes, bei dem alles nach dem Sieg einer rechtspopulistischen Partei aussieht, durch Attentate auf israelische Einrichtungen erschüttert. Der israelische Geheimdienst greift auf seinen besten Mann zurück und beauftragt ihn eher inoffiziell mit Recherchen. Allon beginnt in einer Nazi-Vergangenheit zu wühlen, in der neben Österreich, der Schweiz und dem Vatikan auch der CIA eine Rolle zu spielen scheint. Schließlich sieht sich Allon auch mit der Vergangenheit seiner eigenen Mutter in einem Konzentrationslager konfrontiert. Eine spannungsgeladene Jagd über drei Kontinente beginnt. Erich Huber Wesley, Valerie Wilson: Remember Celia Jones. Ein Fall für Tamara Hayle Zürich: Diogenes 2006. 270 S., € 20,50 Ihr neuester Fall bereitet der farbigen Privatdetektivin Tamara Hayle Albträume: Bei dem Mordopfer Celia Jones handelt es sich nämlich um ihre beste Freundin aus Jugendtagen. Eine kurze Zeitungsnotiz informiert Tamara Hayle über die Ermordung ihrer Freundin und kurz darauf bittet deren Sohn Cecil die Privatdetektivin den Fall zu übernehmen. Die Polizei scheint sich bei ihren Ermittlungen nicht allzu sehr anzustrengen. Tamara übernimmt der alten Zeiten wegen den Fall und erkennt bald, dass Celias Liebesleben sehr turbulent gewesen sein muss: Gebrochene Herzen pflastern ihren Weg – doch wer wurde deswegen auch zum Mörder? Tamaras Ermittlungen führen immer mehr auch in ihre eigene Vergangenheit zu ehemaligen Schulkollegen. Da wird plötzlich Celias Sohn erstochen, und wieder möchte die Polizei den Fall so rasch wie möglich zu den Akten legen, doch Tamara steckt schon viel zu tief in der Sache, um aufzugeben, auch wenn sie sich dadurch selbst in Gefahr begibt. In ihrem sechsten Fall ermittelt die Titelfigur wieder gekonnt mit Spürsinn und Einfühlungsvermögen, was den Romanen von Valerie Wilson Wesley menschliche Tiefe gibt und Bestandteil ihres Erfolges sind. Gabi Stolba Wood, Barbara: Gesang der Erde Aus dem Amerikanischen Frankfurt/M: Krüger 2006. 570 S., € 23,60 Die Geschichte beginnt um das Jahr 1150, in dem eine Tochter des Schildkrötenclans – ein friedliches, im präkolumbischen in- dianischen Südwesten der heutigen USA lebendes und Mais anpflanzendes Bauernvolk – von einem mächtigen Herrscher geraubt wird. Da dessen Herrschaftsgebiet von lang andauernder Trockenheit heimgesucht wird und das Erdreich verdorrt, soll sie die magischen Regenkrüge herstellen. Rund 750 Jahre später entdeckt der Arzt Faraday Hightower im Felsgestein des Chaco Canyon einen solchen Krug, kann dessen Ursprung und Sinn aber bis zu seinem Tod nicht deuten. Erst seine Tochter, die sein Verschwinden nie akzeptiert hat, ist imstande, sich mit der spirituellen Kraft der früher hier lebenden Menschen auseinanderzusetzen und ihnen nachzufolgen. Der Inhalt von Gesang der Erde beschäftigt sich mit der Vergangenheit eines Landes und seiner Bewohner als auch mit der gegenwärtigen Zeit und bietet ein breites Panorama menschlicher Leidenschaften, das sich aus Liebe, Enttäuschung und Mord zusammensetzt. Damit ist der Autorin wieder ein spannender und gut gestalteter Roman gelungen, der sich in die Reihe ihrer erfolgreichen Publikationen einfügt. Renate Zeller Reichs, Kathy: Hals über Kopf Aus dem Englischen München: Blessing 2006. 414 S., € 20,60 Die Anthropologin Tempe Brennan ist Krimi-Fans aus bisher acht Vorgängerbänden bestens bekannt. In diesem Fall hält sie auf einer Ferieninsel ein archäologisches Seminar ab, das durch den Fund einer recht frischen Leiche überschattet wird. Bald tauchen immer mehr Leichen auf, die zunächst nur durch eine kleine Wirbelverletzung miteinander in Verbindung stehen. Ein korrupter Bauunternehmer sowie der Arzt einer Ambulanz für Obdachlose scheinen die Hauptverdächtigen zu sein. Durch hartnäckige Recherchen, bei denen sie durch ihren angereisten Noch-Ehemann Pete und ihren Lover Ryan unterstützt wird, können schließlich alle Morde geklärt und der Mörder überführt werden. In gewohnter Manier fesselt die Autorin durch die präzise, teils etwas zu detailreiche Schilderung der forensischen Methoden und Untersuchungen. Die spannende Handlung wird durch die Beziehungsprobleme, die die Protagonistin mit ihren Männern durchlebt, unterbrochen. Auch die Beschreibung der Krankheit ihrer Freundin bringt menschliche Töne in den doch recht klinisch geschilderten Ablauf des Geschehens. Die Sprache ist oft ein wenig zu reißerisch und gleitet zuweilen ins Klischeehafte ab. Fans von rasanter Handlung und Filmen à la CSI werden dieses Buch jedoch mit Freude verschlingen. Monika Nebosis BelletristikKuss und Schluss Cronenburg, Petra van: Lavendelblues Bergisch Gladbach: Lübbe 2006, 253 S., € 7,95 Nachdem die beiden Freundinnen Estelle und Dahlia mit ihrem Leben nicht mehr zurecht kommen, beschließen sie spontan, ihre Bekannte Bruni in Südfrankreich zu besuchen, um für einige Zeit den Mühlen des Alltags zu entfliehen. Doch Brunis Paradies entpuppt sich bald als eine Mischung aus Schönrednerei und Unwahrheiten. Angeregt durch die positive Lebenseinstellung der Dorfbewohner und eingebettet in die mediterrane Gefühlswelt, erkennen die Frauen nach dem ersten Schock, dass in jeder Niederlage auch der Keim der Hoffnung steckt. Am Ende stehen unerwartete neue Perspektiven und die Erkenntnis, dass wahre Freundschaft über alle Hindernisse hinweghilft. Lavendelblues in ein spritziger, moderner (Frauen-)Roman mit viel Gespür für französische Lebenslust. Mit wunderbar leichter Ironie und poetischen Sätzen verführt van Cronenburg die LeserInnen in eine Welt, die trotz hausgemachter Probleme durchaus lebens- und liebenwert erscheint. Der geschilderte Ort steht gleichsam als Symbol für neuen Mut und eine Aufbruchstimmung, die keine der drei Protagonistinnen am Beginn für möglich gehalten hätte. Trotz der Ingredienzien einer vermeintlich „leichten“ Lektüre besitzt dieser Roman durchaus die Ambition, in die Tiefe zu gehen und gängige Denkmuster zu hinterfragen. Eine gelungene Symbiose aus Unterhaltung und Anspruch. Thomas Buraner Mischke, Susanne: Liebeslänglich München: Piper 2006. 296 S., € 17,40 Mathilde Degens Leben ist ein langer, ruhiger Fluss. Sie arbeitet als Lehrerin in einer Privatschule, hat sich eine schöne Wohnung eingerichtet, nimmt private YogaStunden und für diverse körperliche Bedürfnisse steht auch jemand zur Verfügung, jemand, der morgens wieder weg ist und der ans allein Leben gewöhnten Frau beim Frühstück nicht mehr im Weg ist. So weit, so gut – so langweilig. Als Mathilde bei einem Arztbesuch dem Häftling Lukas Feller begegnet, ändert sich das schlagartig. Der charismatische Mann, der für einen Mord einsitzt (möglicherweise aber auch mehrere begangen hat), bringt das Gleichgewicht der bisher in sich ruhenden Lehrerin gleich bei der ersten Begegnung gehörig ins Wanken. Eben weil ihr Leben bisher so gleichförmig verlaufen ist, lässt sie sich auf das Spiel ein, beginnt einen Briefwechsel, besucht Feller – und heiratet ihn am Ende, allen Warnungen vor seiner dunklen Vergangenheit und seinem dunklen Charakter zum Trotz. Was sie an ihrem ruhigen, berechenbaren Leben hatte, wird Mathilde recht bald bewusst, als Lukas kurze Zeit nach der Hochzeit vor ihrer Tür steht und einziehen will. Eine Entlastungszeugin ist aufgetaucht, ihr Mann wurde bis zu einem neuerlichen Prozess auf freien Fuß gesetzt – und plötzlich ist absolut nichts mehr so, wie es war. Aufwühlend und mitreißend zerlegt Susanne Mischke das Leben ihrer Protagonistin, lässt die LeserInnen immer wieder im Ungewissen. Bis zum wirklich originellen Schluss mörderspannend – kein Buch zum Einschlafen! Isolde Grabner Paesel, Brett: Club der wilden Mütter: Das Leben zwischen Windeln, Sex und Margaritas Aus dem Englischen Berlin: Schröder 2006. 346 S., € 15,40 In ihrem Romandebüt beschreibt Brett Paesel episodenhaft und sehr ehrlich, aber auch witzig ihre Erlebnisse als Mutter – angefangen bei der Schwangerschaft über die erste Zeit in der noch recht ungewohnten Mutterrolle bis hin zur Geburt ihres zweiten Sohnes. Und obwohl die HollywoodSchauspielerin Paesel sicherlich nicht die typische Mutter darstellt, erscheint sie ihren LeserInnen schon nach wenigen Seiten als solche, denn auch sie wird von ganz gewöhnlichen Ängsten und Problemen heimgesucht. Dabei gelingt es ihr klar zu machen, dass sie ihre Kinder trotz aller Widrigkeiten wirklich liebt und es möglich ist, neben der Mutterrolle ein eigenständiges Wesen zu bleiben. Manchmal mag das zwar schwierig erscheinen, aber mit ein bisschen Anstrengung ... Club der wilden Mütter mag zwar 11 amerikanische Verhältnisse – und dort wiederum das Leben von SeriendarstellerInnen widerspiegeln –, doch viele Mütter werden sich und Teile ihres Alltags mit Kindern wiedererkennen. Elisabeth Ghanim Shakespeare, Nicholas: In dieser einen Nacht Reinbek: Rowohlt 2006. 535 S., € 23,60 Der englische Autor und Journalist Nicholas Shakespeare hat mit In dieser einen Nacht einen „deutschen Wenderoman“ aus britischer Sicht geschrieben. Am seinem 16. Geburtstag erfährt Peter Hithersay von seiner Mutter, dass sein Vater ein DDR-Dissident war. Trotz oder gerade wegen seines Widerwillens gegen seine deutschen Wurzeln, beschließt Peter, in Hamburg Medizin zu studieren. Während eines Kurzaufenthalts in der DDR lernt er eine junge Frau kennen, mit der er, wie einst seine Mutter mit seinem unbekannten „Erzeuger“, eine einzige Liebesnacht verbringt. Im Überschwang der Gefühle verspricht er ihr, sie in die BRD zu schmuggeln, scheut aber schließlich doch davor zurück und verleugnet sie sogar kurz vor der Rückreise. Damit beginnt eine fast zwanzigjährige Passion, denn er kann weder die Frau noch seine Feigheit in dieser entscheidenden Situation vergessen. Es sind jetzt zwei Menschen aus der DDR, der Vater und die Geliebte, von denen er weder Namen noch Aufenthaltsort kennt, die jedoch indirekt dafür sorgen, dass er sein Leben auf der Suche nach ihnen mehr oder weniger verpasst. Erst als ihn ein Zufall (der nicht wirklich einer ist) Jahre nach dem Fall der Mauer wieder in den Osten Deutschlands führt, gelingt es ihm mithilfe eines ehemaligen Stasibeamten an den Akt seiner Mutter zu gelangen – und in der Folge nicht nur das Grab des Vaters, sondern, ohne es zunächst zu merken, auch all das zu finden, wonach er viele Jahre vergeblich gesucht hatte. Abgesehen von der Beschreibung einer spannenden Suche, die man hoffend und bangend mitverfolgt, hat Shakespeare auch einen politischen Roman über die DDR verfasst. Dabei ist die Perspektive des Engländers besonders reizvoll. Erich Snobr Kuss und SchlussBelletristik 12 Ungar, Claire: Ein schönes Mädchen wie ich Berlin: Schröder 2006. 236 S., € 15,40 In der Manier einer Ildiko von Kürthy erzählt Cláire Ungar in ihrem Debütroman eine rasante, sehr moderne Story, die sich um den von Männern beherrschten Medien- und Literaturbetrieb dreht. Lena Liep hat gerade ihren ersten Roman über ihren Exmann, einst ihr Deutschlehrer, jetzt nur noch hartnäckiger, ge- kränkter Verfolger, erfolgreich herausgegeben. Ihre erste Einladung zu einer Feier mit Verlagsvertretern und Journalisten endet jedoch gleich mit einer Katastrophe, als der Kritikerpapst sie dreist anmacht und Lena ihn unfreiwillig über eine Galeriebrüstung kippt. Am nächsten Tag ist sie bereits bei der Polizei vorgeladen, ein Produzent meldet sich und will aus ihrem Roman einen Film drehen, und als ihr Ex davon Wind bekommt, verlangt eine finanzielle Beteiligung. Als der Literaturchef ei- ner Lokalzeitung nicht den versprochenen Artikel über Lena druckt , bringt sie ihn in eine unangenehme Lage. Nach einer weiteren Serie von Missgeschicken und anderen Turbulenzen wird die Situation brenzlig … Claire Ungars Heldin ist modern, unabhängig und gewitzt. Ihr mitunter schnoddriger Tonfall steht im Einklang mit der Geschichte des flüssig und spannend geschriebenen Unterhaltungsromans. Birgit Hartl-Klasna Lebensbilder Baldursdóttir, Kristín Marja: Die Eismalerin Belgrano Rawson, Eduardo: Rosas Stimme Aus dem Isländischen Frankfurt/M.: Krüger 2006. 460 S., € 19,80 Aus dem argent. Spanischen München: Beck 2006. 382 S., € 19,90 Aus dem Englischen Frankfurt/M: Suhrkamp 2006. 333 S., € 20,40 Die bekannte isländische Autorin beschreibt in diesem Roman das schwere Leben zweier isländischer Frauengenerationen am Beginn des 20. Jahrhunderts. Nach dem frühen Tod ihres Mannes verlässt die Witwe Steinunn ihren Bauernhof in Westisland und übersiedelt mit ihrer Familie an die Nordküste, um für die schulische Bildung ihrer sechs Kinder Sorge zu tragen. Der Plan geht dank der Disziplin und des Zusammenhalts der gesamten Familie auf. Es arbeiten alle in einer Heringsfabrik, um die Kosten für die Ausbildung der Kinder aufzubringen. Nur Karitas, die in all diesen schweren Jahren den Haushalt geführt und als Wäscherin bei reichen Leuten gearbeitet hat, ist noch ohne Beruf. Dank ihres außerordentlichen kreativen Talents erhält sie ein Stipendium für die Kunsthochschule. Nach ihrer Rückkehr möchte sie Geld verdienen und eine Galerie eröffnen, doch sie hat nicht mit Sigmar gerechnet, der ihr Leben sehr schnell in konventionelle Bahnen leitet ... Wie in den bisherigen Romanen der Autorin stehen die Frauenschicksale im Vordergrund. Diesmal allerdings nicht in der gewohnten ironischen und mit schwarzem Humor garnierten Weise, sondern in Form einer bewegenden und dramatischen Lebensschilderung. Trotz der manchmal etwas überzeichnet wirkenden Serie von Schicksalsschlägen fesselt die Geschichte dieser Familie bis zur letzten Seite. Elke Simon Ausgehend von Lebensläufen oder Episoden aus dem Leben von Protagonisten der gescheiterten Invasion Kubas durch exilkubanische Truppen in der Schweinebucht, entfaltet Belgrano Rawson eine Geschichte des karibischen Raums: eine von Erzähllust getriebene Geschichte von politischen Abenteurern, von Marionetten der USA und der United Fruit Company, eine Geschichte von kleinen Verlierern in Opposition zu den großen Diktatoren. Meisterhaft gelingt dabei die Gegenüberstellung des Lebens der kubanischen Rebellen mit dem Leben der Agenten „der Firma“, beinahe witzig die Aufzählung der Attentatspläne auf Fidel Castro. Der Autor vermischt historische Ereignisse gekonnt mit fiktiven Erlebnissen seiner kleinen Helden. Virtuos konterkariert er bei der Schilderung des Fluchtversuchs seiner sympathischen Protagonisten Tony und Rider aus Kuba Elemente des Schelmenromans mit der Widergabe der großen Tragödie heutiger Boat People. Am Ende des Romans hat man unzählige Schicksale und pralle Lebensgeschichten erlesen, die Machtpolitik der letzten Supermacht und ihrer großen Unternehmen kennen gelernt und ist möglicherweise etwas verstört durch die vielen, manchmal nur angerissenen Episoden. Von Rosa, der Sprecherin des Propagandasenders Radio Swan und Namensgeberin des Romans, verliert sich am Ende jede Spur. Christian Jahl Ruth Rothwax führt in New York ein überschaubares und geordnetes Leben. Sie telefoniert täglich mit ihrem 87-jährigen Vater Edek in Australien, der nach dem Tod ihrer Mutter ein wenig einsam ist. Ihre Eltern haben als einzige in ihren Familien Auschwitz überlebt. Mit einem Schlag ändert sich Ruths Leben, als Edek beschließt, nach New York zu übersiedeln. Nach seinem Eintreffen macht er sich in Ruths Firma nützlich und richtet ein ordentliches Chaos an. Aber es kehrt bald Ruhe im Büro ein, weil Edek plötzlich anderweitig beschäftigt ist. Zofia und Walentyna, zwei Witwen, die Edek vor Jahren in Polen kennengelernt hat, tauchen auf. Und nun wollen die drei ein Lokal eröffnen, ein polnisches Lokal, spezialisiert auf Klopse, „Klopse nicht von dieser Welt“. Das Lokal wird ein ungeheurer Erfolg – und die einstige Affäre zwischen Edek und Zofia geht weiter ... Die ProtagonistInnen des Romans sind Lily Brett-LeserInnen aus Zu viele Männer bekannt. Der Roman ist dicht, hat viele Facetten. Das Problem von Holocaust-Überlebenden und deren Kindern wird ebenso behandelt wie das Phänomen Alterssex und die Schwierigkeit der Nachgeborenen, damit umzugehen. Was den Roman aber besonders liebenswert macht, ist die einnehmende Zeichnung der Figuren und die grosse Portion (jüdischen) Humors. Zu Recht behauptet Chuzpe seinen Platz in allen Bestseller-Listen. Wolfgang Binder Brett, Lily: Chuzpe BelletristikLebensbilder Delius, Friedrich Christian: Bildnis der Mutter als junge Frau Reinbek: Rowohlt 2006. 128 S., € 14,90 Rom 1943, mitten im zweiten Weltkrieg. Eine schwangere deutsche Frau geht durch die Stadt, um ein Konzert in einer evangelischen Kirche zu besuchen. Sie fühlt sich verloren, ist eingeschüchtert durch die fremde Umgebung, ist vorsichtig gegenüber deutschen Soldaten und italienischen Schwarzhemden. Behütet wohnt sie in einem Schwesternheim. Ihr Mann, ein Pfarrer, dient an der Front in Afrika. Für einen kurzen Moment haben sie beide schon geglaubt, sie entkämen der Trennung. Aber kaum sind sie nach der Heirat in Rom angekommen, wird der Mann nach verlustreichen Schlachten sogar als Verletzter eingezogen. Briefe halten die Verbindung. Im Kopf hält sie Zwiesprache mit ihrem Mann, während sie durch die Stadt geht. Einmal mehr ein melancholisches Mutter-Buch? Noch ein sentimentaler Rückgriff auf eine längst vergangene Kindheit? F. C. Delius gibt sich in der Rückblende auffallend nüchtern und analytisch und trotzdem sympathisch anschmiegsam. Er schlüpft als Erzähler in seine Mutter, erzählt präzise aus ihrer Perspektive, was sie in Rom an Alltag und Architektur wahr nimmt, was sie innerlich umtreibt, was sie fürchtet. In Summe ergibt die Rollenprosa ein fein beobachtetes Bild über Rom im Krieg, über politische Normalität und sich anbahnende Zuspitzung, über die protestantischen Wurzeln einer Deutschen und ihre Konfrontation mit dem Nationalsozialismus. Die enorme Pracht der römischen Kirchenwelt irritiert sie. Schnörkellose, reiche Prosa in einem schmalen Band. Alfred Pfoser Khadra, Yasmina: Die Attentäterin Aus dem Französischen München u.a.: Nagel & Kimche 2006. 269 S., € 20,50 Amin Jaafari, israelischer Staatsbürger arabischer Herkunft, Chirurg in Tel Aviv, hat sich angepasst. Er lebt mit seiner Frau, die er über alles liebt, im Nobelviertel, unterhält keinen Kontakt zu seiner Verwandtschaft und ist trotzdem ein Bürger zweiter Klasse. Nach einem Selbstmordattentat operiert er den ganzen Tag und als er völlig übermüdet heimfährt wird er bei jeder 13 Strassensperre von der Polizei gedemütigt. Endlich daheim, holt ihn ein Anruf ins Krankenhaus zurück. Er soll die Leiche der Attentäterin identifizieren – es handelt sich um Sihem, seine Frau. Nach langen Verhören wird auch den Israelis klar, dass er mit dem Attentat nichts zu tun hat, ja nicht einmal etwas davon geahnt hat. Zuerst laufen all seine Reaktionen so ab, wie sie wohl jeder, der einen geliebten Menschen verliert, durchlebt. Aber bald stellen sich weitere Fragen bei ihm ein. Warum ist Sihem zur Fundamentalistin geworden, warum hat er nichts davon bemerkt. Auf der Suche nach Antworten fährt er in ihren Heimatort, wo Sihem am Tag vor dem Attentat gesehen wurde ... Dieser in der Ich-Form geschriebene Roman von Yasmina Khadra, der in Algerien Offizier der Streitkräfte war, ehe er 2000 nach Frankreich ins Exil ging, wird mit Fortgang der Handlung immer dichter und vielschichtiger. Es wird klar, wie weit Israelis und Palästinenser voneinander entfernt sind. Er beschreibt die patriarchalischen Strukturen der palästinensischen Clans, das Zusammenleben in den Städten, das kein Zusammenleben ist, die Räumungsaktionen der Israelis im Westjordanland und deren gezielten Tötungsaktionen – und man lernt verstehen, was in Israel vorgeht. Der Erfolgsroman soll demnächst verfilmt werden. Wolfgang Binder Powers, Rrichard: Das Echo der Erinnerung Aus dem Amerikanischen Frankfurt/M: Fischer 2006. 533 S., € 20,50 Karins Bruder Marc hat sich auf einem Highway mit dem Auto überschlagen und wurde schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert. Karin sucht ihn auf, will ihn zum Leben ermuntern, das ist sie ihm schuldig. Die alten Familiengeschichten steigen hoch. Allerdings ist das, was sie dann im Spital erlebt, für sie höchst erschütternd und irritierend. Er hält sie für eine Feindin, für eine aggressive Doppelgängerin, die ihn nun bekämpft. Der Weg zur Heilung ist denkbar kompliziert, und zwar für alle Beteiligten Das Echo der Erinnerung will zweierlei. Einerseits ist das Buch ein gut lesbarer, etwas ausufernder amerikanischer Familienroman klassischer Prägung: mit starken Charakteren, vielen biographischen Details und Nebenhandlungen sowie einem Provinz-Schauplatz. Andererseits ist es eine am Fall Marks orientierte Einführung in die Gehirnphysiologie und gibt sich stark medizinorientiert und philosophisch. Das Echo der Erinnerung ist durchaus sachlich gemeint: Powers stellt die Frage, wie das Gehirn mentale Räume konstruiert, die oft gar nichts mit Wirklichkeit und Wahrheit tun haben, einzig das Kriterium der Stimmigkeit steuert die Vorgänge im Hirn. Und er betont, wie zerbrechlich das Ich ist. Das Buch stellt große Fragen, zeigt sich stark in der poetischen Naturbeobachtung und dialogreichen Charakterschilderung – und es baut sehr geschickt seine Beschreibungen über die Tücken der Erinnerungslandschaften ein. Alfred Pfoser Vámos, Miklós. Vom Lieben und Hassen Aus dem Ungarischen München: Random House 2006. 316 S., € 18,50 Als ob László Ramors Leben nicht schon kompliziert genug wäre: Seiner Ehe ist die Liebe abhanden gekommen und die Frau, die er begehrt, hält ihn nur hin. Auch in seinem Beruf als Komiker ist er nur mäßig erfolgreich. Zu all dem kommt noch die ständige Sorge um seine Mutter Piroska. Diese ist seit vielen Jahren manisch-depressiv. Entweder ist sie stimmungsmäßig ganz unten, dann muss Ramor fürchten, dass sie sich etwas antun könnte, oder sie ist manisch-aufgekratzt und voll unseligen Tatendranges. Sie ist ihm vor allem eines: peinlich. Der Autor führt einen mittels langer innerer Monologe immer wieder in den Kopf der Mutter, und besser als ihr Sohn erkennen die LeserInnen, welche beeindruckende Vitalität und welcher Lebenshunger noch in dieser Frau stecken. Dem bereits mit etlichen Preisen geehrten ungarischen Autor ist mit diesem Roman eine eindrucksvolle Mutter-Sohn Beziehungstudie gelungen. Die negativen Gefühle der beiden Hauptpersonen finden darin genauso Platz wie Momente grotesker Komik. Vor allem aber macht er die große Liebe spürbar, die Muter und Sohn verbindet. Eva Janisch Sachbuch 14 Literatur & Sprache Haarmann, Harald: Weltgeschichte der Sprachen. Von der Frühzeit des Menschen bis zur Gegenwart München: Beck 2006. 398 S., € 15,40 Rund 6400 Sprachen werden heute auf der Welt gesprochen und jede von ihnen hat eine Geschichte, die es lohnt zu kennen. Und Harald Haarmann ist nicht bloß ein Sprachwissenschaftler, der viele Fakten über Entstehung, Entwicklung und das Verschwinden von Sprachen zusammengetragen hat, sondern auch ein guter Erzähler. Er berichtet über die Entwicklung seiner Zunft und spektakuläre Erkenntnisse der Paläolinguistik. Demnach wissen wir aufgrund von DNA-Analysen, in welchen Migrationsschüben die Erde von den Menschen besiedelt wurde, welche Sprachen sich wo verbreitet haben oder woran sich Sprachenverwandtschaft festmachen lässt. Migration und das Festhalten an bzw. Aufgeben von kultureller Identität sind eng miteinander verknüpft und gerade in der globalisierten Welt von heute lassen sich viele kontaktlinguistische Phänomene beobachten, die wiederum Rückschlüsse auf untergegangene Sprachen zulassen. So befindet sich laut Haarmann das Englische an einem ähnlichen Punkt wie das Lateinische vor dem Entstehen romanischer Nationalsprachen. Die aktuellen Trends heutiger Sprachentwicklung belegt er in seinem Abschlusskapitel mit statistischem Material über die Weltsprachen. Harald Haarmanns Weltgeschichte der Sprachen ist ein faszinierendes Handbuch mit viel Detailinformation und guter Überblicksdarstellung. Lediglich die grafischen Darstellungen sind zum Teil zu klein, um daraus tatsächlich Information zu gewinnen. Alles in allem aber ist der Bandin seiner kompakten Form konkurrenzlos. Josef Mitschan Limbach, Jutta (Hg): „Ausgewanderte Wörter“ Ismaning: Hueber Verlag 2007. 133 S., € 20,60 Wie jede andere Sprache nimmt auch die deutsche neues Wortgut auf, um Benennungslücken zu füllen. Der umgekehrte Weg ist uns weniger geläufig: deutschsprachige Ausdrücke, die in verschiedene Sprachen ausgewandert sind. Dies belegt der lehrreiche und unterhaltsame Band mit einer Auswahl der interessantesten Beiträge aus einer internationalen Ausschreibung. Die meisten der über 100 Begriffe stammen aus dem Englischen und Russischen. Eines der bekanntesten ist wohl das „butterbrot“ im Russischen, worunter allerdings ein belegtes Brot zu verstehen ist. Aber auch Suaheli hat ein amüsantes Beispiel zu bieten: „kaputti“ und „halbkaputti“ wird hier für nicht funktionstüchtig verwendet und heißt auf Menschen angewandt ohnmächtig, bewusstlos. Manche ausgewanderten Wörter bleiben in ihrer Ursprungsfassung erhalten, wie „fernweh“ (spanisch), andere ändern sich geringfügig, wie „schachmaty“ (ukrainisch), wieder andere sind nicht mehr auf den ersten Blick erkennbar, wie „vigéc“ („Wie geht's“) im Ungarischen, das einen von Tür zu Tür gehenden Verkäufer bezeichnet. Den „katzenjammer“ kennt man auch im Polnischen. Ein Blödmann ist auch im Französischen ein „blödmann“, und im Finnischen gibt es auch „besservisseri“ und eine „kaffeepaussi“. „Lips“ und „Naps“ im Estnischen stehen für Schlips und Schnaps. So unterhaltsam kann es sein, sich mit wandernden Wörtern zu beschäftigen. Mit Beiträgen von Sprachexperten und farbigen Illustrationen zu den ausgewählten Begriffen ist ein hochwertig ausgestatteter Band entstanden, der einen wunderbaren Beitrag zur Sensibilisierung des Sprachbewusstseins darstellt und auf höchst amüsante Weise Sprachgrenzen überschreitet. Claudia Sykora-Bitter Kämpchen, Martin (Hg): Indische Literatur der Gegenwart München: Text + Kritik 2006. 458 S., € 32,90 Indien ist ein Land mit einer großen, mehr als 3000 Jahre alten literarischen Tradition. Aufgrund der unglaublichen Sprachenvielfalt kann jedoch nicht von einer indischen Literatur gesprochen werden – vielmehr gibt es mehrere Regionalliteraturen mit durchaus unterschiedlichen Prägungen. Jeder der 24 offiziellen Amtssprachen stellt auch eine lebendige Literatursprache dar. Dies veranschaulicht der durchaus imposante indische Buchmarkt: 12.000 Verlage publizieren jährlich etwa 80.000 Titel. Leider ist von diesem literarischen Reichtum nur wenig außerhalb des Landes bekannt, Übersetzungen hat es bis vor kurzem nur in einem spärlichen Ausmaß gegeben. Einen größeren Bekanntheitsgrad haben hauptsächlich Autoren, die in englischer Sprache schreiben, wie zum Beispiel Salman Rushdie, Arundhati Roy oder Amitav Ghosh. Spätestens jedoch seit der Frankfurter Buchmesse 2006, die Indien als Gastland präsentierte, wird die indische Literatur auch im deutschsprachigen Raum verstärkt wahrgenommen und vermehrt übersetzt. Einen wichtigen Beitrag zu dieser Entwicklung leistet der längst überfällige Band von Martin Kämpchen: Zum ersten Mal wird in deutscher Sprache eine umfassende Einführung in die zeitgenössische indische Literatur vorgenommen. Drei ausführliche Überblickskapitel von namhaften indischen und deutschen Literaturwissenschaftlern skizzieren die Entwicklung der indischen Literatur, die wichtigsten Regionalliteraturen sowie die englischsprachige Literatur Indiens. Danach folgen 20 Einzeldarstellungen der bedeutendsten modernen indischen AutorInnen, die ins Deutsche übersetzt wurden. Diese Aufsätze sind einerseits gelungene Einführungen zu Leben und Werk, andererseits enthalten sie wichtige Materialien. Grundlage für dieses Buch ist das „Kritische Lexikon zur fremdsprachigen Gegenwartsliteratur“ von Heinz Ludwig Arnold; die entsprechenden Artikel wurden für diese Publikation aktualisiert und erweitert. Thomas Geldner Sachbuch Literatur & Sprache Österreichisches Literaturarchiv: die ersten 10 Jahre Wien: Praesens 2006. 148 S., € 20,00 Im Jahr 2006 feierte das Österreichische Literaturarchiv – eine der zehn Sondersammlungen der Österreichischen Nationalbibliothek – sein 10-jähriges Bestehen. Die Ursprünge des ÖLA liegen jedoch viel weiter zurück. Im Jahr 1989 ins Leben gerufen, führte es jahrelang ein Schattendasein. Erst 1996, mit der Bestellung von Wendelin Schmidt-Dengler zum Sammlungsleiter und der Einrichtung der Räume in der Wiener Hofburg nahm das ÖLA endgültig seine autonome Tätigkeit auf. Das mit der Gründung gesetzte Ziel, nachhaltig zur dauerhaften Bewahrung, wissenschaftlichen Erschließung und vor allem auch zur Bewusstmachung der neueren österreichischen Literatur in der Öffentlichkeit beizutragen, hatte ein stetes Anwachsen des vorhandenen Materials zur Folge. So besitzt das ÖLA inzwischen über 120 Bestände (www.onb.ac.at/sammlungen/litarchiv/index.htm). Das vorliegende Buch trägt der beispielhaften Entwicklung des Archivs Rechnung und gibt Einblick in Entstehung, 15 Funktion und Alltag dieser Institution. Von einer detaillierten Instituts- und Personalchronologie über Fragen der Erwerbsplanung und Editionspraxis bis hin zum K(r)ampf der fachgerechten Datensicherung werden so die Freuden und Sorgen der täglichen Arbeit beleuchtet. Dem Buch liegt eine CD mit Hörbeiträgen von 21 LiteratInnen (Interviews, Privataufnahmen und anderes) bei. Angelika Wimmer Sick, Bastian: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod Folge 3: „Noch mehr Neues aus dem Irrgarten der deutschen Sprache“ Köln: Kiepenheuer & Witsch 2006. 261 S., € 9,20 Bastian Sick hat wieder zugeschlagen und beglückt seine Anhängerschaft mit weiteren gesammelten Zwiebelfisch-Kolumnen. Wie in den beiden vorangegangenen Bänden ist der Ausgangspunkt seiner Texte auch diesmal nicht die deutsche Grammatik selbst, sondern Beobachtungen aus deren alltäglichem Gebrauch. Dabei lässt sich nicht immer so leicht sagen, was richtig oder falsch ist, denn vie- les aus der Umgangssprache hat im Laufe der Jahre Gnade gefunden und ist nun offiziell, also laut Duden, neben der ursprünglichen Form erlaubt. Und bei Regionalsprachen ist ohnehin Toleranz gefragt, wie Sick u.a. am Beispiel der unterschiedlichen Schreibung von Straßennamen zeigt. Nach wie vor aktuell ist der Überlebenskampf des Genitivs, dem auch in diesem Band wieder ein Kapitel gewidmet ist. Eine weitere Fundgrube stellt der Bereich falsch benutzter Redewendungen dar. Im Unterschied zu den ersten beiden Bänden finden sich diesmal einige Kolumnen, in denen Sick der Anekdote den Vorzug gegenüber dem Lerneffekt gibt. So widmet er z.B. ein Kapitel den mehr oder weniger originellen Namen von Frisiersalons, ein anderes behandelt typische Aussprachefehler, die Deutsche im Spanischen machen. Am Schluss stehen ein Deutschtest mit 60 Fragen und ein ABC, das gängige Fragen aus der Grammatik behandelt. Auch wenn einige Kapitel in diesem Band nicht ganz das halten, was die beiden Vorgängerbände versprochen haben, ist dem Autor wieder ein vergnüglicher Ausflug in die deutsche Sprache gelungen. Georgia Latzke Osberghaus, Monika: Schau mal! 50 beste Bilderbücher München: dtv 2006. 232 S., € 14,90 Kurz vor der letzten Jahrtausendwende begann ein Boom der Bestenlisten. So, als wollte man sich vergewissern, dass die richtigen Kulturgüter in eine neue Zeit hinübergerettet werden, entstanden allerorten Publikationen über die besten, die größten, die wichtigsten Werke. Heute ist diese Art der Kanonisierung ein eigenes Genre geworden, das sich zwischen literaturwissenschaftlichem Handbuch und persönlicher Lesebiografie angesiedelt hat und wohl auch eine kluge Werbepostille des Verlagswesens ist, das solcherart darauf hinweist, dass es „bleibende Werte“ produziert. Monika Osberghaus kennt den Buchmarkt von verschiedenen Seiten: Sie war Buchhändlerin, hat als Übersetzerin ebenso gearbeitet wie als Literaturkritikerin und ist eine ausgewiesene Kennerin der im deutschen Sprachraum erschienenen Kinder- und Jugendliteratur. Mit Schau mal! geht Osberghaus an die Wurzeln jeder Lesebiografie: zu den Bilderbüchern. Mit 50 ausgewählten Bilderbüchern, die heute „moderne Klassiker“ zu nennen sind, will sie unentschlossenen Eltern eine Handreichung geben, welche Bücher ihren 3- bis 6-jährigen Kindern „eine Lichtung im Tag eröffnen“ können. An wirklichen Klassikern hat Osberghaus nur den Struwwelpeter und Max und Moritz in ihre Bestenliste aufgenommen – eine mutige Entscheidung, die sie sehr sachlich begründet und, wie jedes der anderen Bücher auch, unter ein Motto stellt: „für Kinder, die Katastrophen lieben“ (Struwwelpeter) und „für Kinder mit Sinn für das Böse“ (Max und Moritz). Osberghaus traut Eltern und Kindern viel zu. Sie vermittelt mit ihrer breiten Auswahl und ihren klugen Charakterisierungen eine große Bandbreite von Präsentationsmöglichkeiten. Solcherart bekommen die LeserInnen sehr rasch Lust, diese Bücher gemeinsam mit einem (ihrem) Kind neu zu erleben. Und dass dies mehr als einmal möglich sein sollte, weil die Kinder es fordern werden, ist ein weiteres Auswahlkriterium der Autorin. Eltern und PädagogInnen ist dieses erfrischende Buch uneingeschränkt zu empfehlen. Josef Mitschan Sachbuch Literatur & Sprache 16 Thiele, Johannes (Hg.): Rotbuch Deutsch. Die Liste der gefährdeten Wörter Wiesbaden: Marix 2006. 66 S., € 13,90 Das Rotbuch Deutsch ist ein Wörterbuch und Wendebuch: Die eine Seite enthält eine Sammlung von gefährdeten Begriffen und die Kehrseite eine Liste an Wörtern, die nicht mehr gebräuchlich sind. Ergänzt wird dieser Teil um verschwundene Ausdrücke aus DDR-Zeiten. Gefährdete Wörter sind für den Herausgeber Johannes Thiele Begriffe, die drohen, aus dem aktiven Wortschatz zu verschwinden. Dazu gehören z.B. die Worte Tinktur (heute: Lotion), Tastatur (ersetzt durch Keyboard) oder Schaffner (ersetzt durch Zugbegleiter). Viele Ausdrücke werden ausführlicher erklärt, bei einigen sind nur die Synonyme verzeichnet. Wörter und Redewendungen geraten in Vergessenheit, weil das von ihnen Bezeichnete zwar einst eine Rolle gespielt, in der Gegenwart aber keine Bedeutung mehr hat, oder aber weil sie durch Lehnund Fremdwörter (vor allem Anglizismen), die modern klingen und international gebräuchlich sind, verdrängt werden. Warum jedoch Worte wie „abfällig“ als untergegangen bezeichnet werden, wird den LeserInnen nicht zur Kenntnis gebracht. Eine subjektive Momentaufnahme also, die zum Schmökern einlädt und zum Nachdenken über den Gebrauch mancher Phrasen anregt, ohne nostalgisch einzelne Ausdrücke unter Artenschutz zu stellen. Susanne Kappos Thompson, Hunter S.: Königreich der Angst. Aus dem Leben des letzten amerikanischen Rebellen Aus dem Amerikanischen München: Heyne 2006. 479 S., € 10,30 Königreich der Angst ist die letzte Publikation des letzten amerikanischen Rebellen, wie er im Untertitel ehrenvoll tituliert wird. Das Buch lässt das bizarre Leben eines wahrhaft außergewöhnlichen Autors Revue passieren. Hunter S. Thompson (1937-2005) gilt als Enfant terrible der amerikanischen Literaturszene. Er begann seine Karriere als Sportjournalist, wechselte später als Reporter zum Rolling Stone und wurde als Begründer des so genannten Gonzo-Journalismus zu einer Ikone der Hippiebewegung. Darüber hinaus war er ein politischer Aktivist, der sich nicht selten mit der Obrigkeit anlegte und keinem Konflikt aus dem Weg ging. Niemand hätte die ausgeflippte Geschichte des legendären Outlaws besser erzählen können als Hunter S. Thompson selbst. Drogen, Alkohol, Sex, Schusswaffen und Sprengmittel spielten in seinem Leben (und Sterben) eine nicht unwesentliche Rolle. Episoden aus diesem Leben werden mittels einer rasanten Collagetechnik erzählt. Königreich der Angst ist aber viel mehr als nur eine Autobiographie; es ist ein Porträt der USA der letzten Jahrzehnte und vor allem eine schonungslose Abrechnung mit den gegenwärtigen Zuständen unter George W. Bush. Hunter S. Thompson verübte im Februar 2005 Selbstmord. Sein spektakuläres Begräbnis, bei dem Johnny Depp die Kanone zündete, welche die Asche des Autors in den Himmel katapultierte, ist legendär. In die Höhe geschnellt sind seither auch die Neuauflagen und Verkaufszahlen der Bücher von Hunter S. Thompson. Thomas Geldner Wild, Bettina: Rafik Schami Aus der Reihe „dtv portrait“ München: dtv, 2006. 188 S. 10,30 € Rafik Schami wurde 1946 in Damaskus geboren. In diesem Jahr begann die Unabhängigkeit Syriens von der Kolonialmacht Frankreich. Aufgewachsen in einer christlichen Familie, soll Rafik Priester werden. Auch wenn sich dieser Wunsch des Vaters nicht erfüllen sollte prägen ihn die Jahre in der Klosterschule vor allem in literarischer Hinsicht. Er tritt der syrischen KP bei und entwickelt sein literarisches Talent als Journalist. Daneben studiert er Chemie, muss allerdings nach Abschluss des Studiums Syrien aus politischen Gründen verlassen. Er kommt nach Deutschland, wo er literarisch sehr aktiv wird und seit 1982 als freischaffender Schriftsteller lebt. Der größte Erfolg wurde Rafik Schami mit dem 2004 erschienen autobiographischen Roman Die dunkle Seite der Liebe zuteil. Eine lesenswerte, mit Fotografien und Info-Material strukturierte sowie einem Lebenslauf ergänzte Monografie. Elke Simon Pechmann, Alexander: Mary Shelley. Leben und Werk Düsseldorf: Artemis & Winkler 2006. 309 S., € 25,60 Sie gilt als eine der Begründerinnen der Horror-Literatur, und trotzdem ist ihr Name weit weniger bekannt als der ihres berühmtesten Werkes – Frankenstein. Mary Shelley (1797-1851) stammte aus einer geisteswissenschaftlich hochkarätigen Familie. Im Alter von nur 16 Jahren verliebte sich Mary in den englischen Dichter Percy B. Shelley und brannte mit ihm durch. Die nächsten Jahre waren von Reisen geprägt, aber auch vom tragischen Verlust zweier Kinder und vom frühen Tod ihres Mannes. Legendär ist der Sommer 1816, den die Shelleys gemeinsam mit Lord Byron und John Polidori am Genfer See verbrachten. 1816 ist als das Jahr ohne Sommer in die Geschichte eingegangen. Es war durchwegs kalt und verregnet und man vertrieb sich die Zeit mit dem Erzählen und Schreiben von Schauergeschichten. Das Resultat dieser düsteren Tage war Frankenstein oder Der moderne Prometheus, der heute als der erste Science- Fiction-Roman der Weltliteratur bezeichnet wird, da er erstmals eine wissenschaftliche Thematik in die Schauerliteratur, die sogenannte gothic novel, einführte. Der Literaturwissenschaftler Alexander Pechmann hat das Leben von Mary Shelley sehr fundiert und detailliert nachgezeichnet. Betont wird auch ihr literarisches Schaffen nach Frankenstein, das aber heute nur noch selten gelesen wird. Dieses facettenreiche Werk vor dem Vergessen zu bewahren ist eines der Ziele von Pechmann. Thomas Geldner Sachbuch 17 Kunst & Künstler Dössel, Christine. Klaus Maria Brandauer. Die Kunst der Verführung St.Pölten: Residenz 2006. 366 S,. € 24,90 Klaus Maria Brandauer ist einer der wenigen Schauspieler, der sowohl im Theater als auch im Film Außergewöhnliches vollbracht und dafür Weltruhm erlangt hat. Dennoch sind die Meinungen über seine Person sehr kontrovers. Während die einen, wie etwa der Filmemacher Skolimowski, behaupten, „keinem Regisseur kann Schlimmeres passieren, als mit diesem Schauspieler auf dem Set zu arbeiten“, ist die Liste der Lobreden über ihn lang, angefangen von Isztvan Szábo (in dessen Oscar-gekröntem Film „Mephisto“ Brandauer die Hauptrolle spielte) bis hin zu Schauspielschülern, die beteuern, Brandauer würde für sie sein letztes Hemd geben. Brandauers Schauspielerkarriere begann bereits mit 20 Jahren, als er wegen der Eheschließung mit der früh verstorbenen Karin Brandauer die Schauspielschule abbrach und sein erstes Engagement annahm. Sein Talent blieb nicht lang verborgen. Er schaffte es, all den klassischen Helden einen modernen Hauch zu geben, er verlieh den Bühnenfiguren eine Natürlichkeit und menschliche Vielschichtigkeit, die das Publikum von Anfang an in Bann zog. Als Schauspieler ist er kein Chamäleon, das sich je nach Rolle ständig verwandelt, sondern er schöpft die verschiedenen Gestalten aus seinem eigenen Inneren. In den letzten Jahren hat sich Brandauer neben dem Unterrichten verstärkt dem Regieführen zugewandt, eine Tätigkeit, in der ihm der Applaus nicht so mühelos zufällt, wie als Schauspieler. Christine Dössel folgt der Lebenslinie Klaus Maria Brandauers in großem Bogen. Mehr interessiert sie die Kontroverse um den Künstler und Theatermenschen – und diesen hat sie mit all seinen Ecken und Kanten, aber auch mit seinen Vorzügen und Talenten gelungen dargestellt. Eva Janisch Furuyama, Masao: Tadao Ando Köln u.a.: Taschen 2006. 96 S., € 6,99 Tadao Ando wurde 1941 in Osaka geboren. Als älterer Zwilling wuchs er der Tradition gemäß bei seiner Großmutter auf, in deren Straße er Handwerker beobachtete, manchmal sogar mitarbeiten durfte und schon als Kind ein fundiertes Grundwissen über Formen und Material erwarb. Als Jugendlicher wurde er Boxer. Er lernte dadurch, sich mit gezielten Strategien durchzusetzen. Man sagt, wenn er sich für ein Projekt interessiert, arbeitet er wie ein Besessener, um sich danach wieder völlig zu entspannen. Japanische Philosophie bzw. Religion prägen seine revolutionären, aber schlichten und asketischen, auf das Wesentliche beschränkten architektonischen Formen (sein Material ist Beton und Glas). Obwohl Ando nie studiert hat, ist er einer der Architekten mit den meisten Architekturpreisen. Der kleine Taschen-Band ist ausgezeichnet gestaltet, mit viel Information über das private Leben des Architekten, sogar über sein offensichtlich sehr sympathisches Verhalten seinen Mitmenschen gegenüber. Seine zahlreichen im Band erwähnten Bauten sind ausführlich mittels diverser Fotos und Plänen dokumentiert. Bernadette Posch Lanz, Peter: Falco Wien: Ueberreuter 2007. 250 S., € 19,95 Peter Lanz, Inhaber der Gesellschaft, die den Namen „Falco“ verwertet, wurde von Falco schon 1986 zu dieser Biographie authorisiert. Die Jugendjahre der österreichischen Popikone Hans Hölzel sind nicht zuletzt durch die wiederkehrenden Aussagen seiner Mutter belegt und zeigen das Scheidungskind und seine schwierigen familiären Verhältnisse. Bei der Betrachtung seiner musikalischen Laufbahn tun sich indes Lücken auf. Auch nennt der Autor seinen Geschäfts- und Namensträger ab dessen Kinderzeit immer „Falco“ und bringt Nachbetrachtungen und Lebensgeschichte ohne tieferen Sinn durcheinander. Falcos Wechsel von Peter Ponger zu einem anderen Produktionsteam, das für den „Amadeus“-Erfolg verantwortlich war und die Probleme des Stars mit Ehe und Familie werden so geschildert, wie man es aus den Medien in Erinnerung hat. Die Schilderung von Falcos Problemen mit Drogen gehört schließlich zu den Tiefpunkten des Buches: Zu den Anfangsjah- ren werden Aussagen „gegen Drogen“ zitiert, am Schlusspunkt der Karriere wiederum nur festgestellt, dass Falco lange Jahre Drogenprobleme hatte, aber nie auf die Hintergründe seiner Kokainsucht eingegangen. Aus Sicht einer Verwertungsfirma verständlich, doch damit bleibt ein wesentlicher Teil von Falco ausgespart. Was bleibt sind Bilder, Details über das Leben eines der grössten österreichischen Popstars, aber wenig Persönliches, Berührendes, wenig über seine Arbeit und sein Talent, das ihn groß gemacht hat. Beatrix Albrecht-Kammerer Masanès, Fabrice: Gustave Courbet. Der letzte Romantiker Köln u.a.: Taschen 2006. 96 S,. € 6,99 Courbet wuchs in einer gutbürgerlichen Familie in Ostfrankreich auf. Auf Wunsch seiner Eltern studierte er ab 1837 Jura, doch widmete er sich schnell mehr dem Zeichnen und begann bereits nach einem Jahr, Zeichenstunden bei Charles Antoine Flajoulot zu nehmen. 1840 begann er dem Schein nach in Paris Rechtskurse zu belegen, doch er nahm weiter Unterricht und entwickelte seine Technik, indem er im Louvre und anderen Museen die dortigen Kunstwerke kopierte. Erst im Louvre entdeckt er seine wirklichen Vorbilder Tizian, Vélazquez, Rubens und Rembrandt ... Courbet behauptete , „dass die Malerei eine gegenständliche Kunst ist, die ausschließlich reale oder existierende Objekte abbilden sollte ...“ – und beeinflusste vor allem die jungen Impressionisten. Er war ein herausragender Vertreter des natürlichen Realismus, der Widersprüche und Unstimmigkeiten innerhalb der Gesellschaft aufzeigte. Sein Stil war damals revolutionär – er arbeitete mit dunklen Farben und kräftigen Pinselstrichen – ebenso wie die Wahl seiner Themen. Er zeigte das Leben einfacher Leute in einer unsentimentalen, direkten Art. Bereits zu Lebzeiten besaß er enormen Einfluss. Nach der gewaltsamen Auflösung der Kommune verbüßte er eine Strafe im Gefängnis, durfte dort aber malen.1872 wurde ihm der Orden der Ehrenlegion angeboten, den er aber ablehnte. Courbert starb am 31. Dezember 1877 in der Schweiz. Walter Zberg Sachbuch Kunst & Künstler 18 Stadlober, Margit: Der Wald in der Malerei und der Graphik des Donaustils Wien u.a.: Böhlau 2006. 415 S., € 69,Die Kunst um die Wende des 15. Jahrhunderts um Regensburg, Passau, Linz, Krems und Wien wurde bislang als die so genannte „Donauschule“ bezeichnet. Die Autorin des vorliegenden Bandes schlägt vor, den Begriff in Donaustil abzuändern. Die Begründung dafür liegt in der Abwesenheit eines Lehrers. Die wichtigsten Künstler des Donaustils sind Albrecht Altdorfer und Wolf Huber. Dass alle im Buch genannten Künstler sich um die Entwicklung und Bewusstmachung von Landschaft im Bild annahmen, ist eine Tatsache, für die diverse Erklärungen angeboten werden. Um 1480 gibt es die erste Nachtdarstellung in der deutschen Kunst, der Anblick dieses Gemäldes versetzte die Menschen in Angst. Die Darstellung der Landschaft gewann zunehmend ein Eigenleben, die Entwicklung zu einem eigenen Genre ist bereits abzusehen. Interessant ist, dass sich bereits um 1500 eine Bedrohung der Landschaft abzeichnete und deshalb die Natur, besonders der bedrohte Wald, zu einem Thema und Gegenstand verschiedenster Darstellungstechniken wurde ... Ein informativer Band mit unzähligen Quellenangaben und Registern. Die Bildbeschreibungen sind aufschlussreich und tragen zu einem tieferen Verständnis der Renaissancekunst im deutschen Raum. Irritierend und korrekturbedürftig sind allerdings einige irreführende Verweise im Text. Bernadette Posch Wolf, Norbert: Giotto di Bondone. Die Erneuerung der Malerei Köln: Taschen 2006. 96 S., € 6,99 Der berühmte Florentiner Maler Cimabue entdeckte Giotto, als dieser gegen Ende des 13. Jahrhunderts, als kleiner Junge, die Schafe seines Vaters zeichnete, und zwar so genau, wie es ihn nur die Natur gelehrt haben könnte. Giottos Hauptwerk ist der große Freskenzyklus in der Arena in Padua. Er verwendete gemalte Architekturelemente, die dem Betrachter Nischen vortäuschen („trompe-l'oeil“). Masaccio und Michelangelo wurden direkt davon beeinflusst. Giottos gesamtes Werk behandelt religiöse Themen. Sowohl in der Technik als in der Farbgebung (er bediente sich da- bei der Feigenmilch und des Eigelbs), trat er als Neuerer auf: Er verlieh den Farben Helligkeit und Klarheit. Als bedeutendste Aspekte seines Schaffens gelten jedoch die hohe Natürlichkeit und Lebhaftigkeit seiner Figuren, ebenso wie die Vorbereitung der Perspektive. Giotto galt als Pionier der modernen Malerei, als Vater der neueren Kunst. Von seinen Zeitgenossen unterschied er sich durch die Schlichtheit und Strenge seiner Formen sowie durch den Humanismus, der in seine Werke einfloss. Er vermochte in seinen Werken Dramatik und Monumentalität zu einer klassisch ausgewogenen Form zu verbinden. Walter Zberg Zimmermann, Claire: Mies van der Rohe Köln: Taschen 2006. 96 S., € 6,99 Der 1886 als Maria Ludwig Michael Mies geborene Künstler begann seine Laufbahn als technischer Ornamentzeichner, später arbeitete er in einem Architekturbüro. Eine für die Ausstellung unbekannter Architekten im Jahre 1919 eingereichte Arbeit wird von Walter Gropius abgelehnt. Dessen ungeachtet nimmt er an weiteren Ausstellungen teil und gründet gemeinsam mit anderen avantgardistischen Architekten die Architektenvereinigung „Der Ring“. 1926 wird er Vizepräsident des Deutschen Werkbundes. Noch vor dem Zweiten Weltkrieg nützt van der Rohe die in Amerika geknüpften Kontakte, um zu emigrieren. 1969 stirbt er in Chicago. Heute noch kaum vorstellbar sind die revolutionären Ideen von Architekten wie Mies van der Rohe: radikal vereinfachende Formen, Reduktion auf das Wesentliche, großzügigste Raumaufteilungen etc. Sein Traum waren gläserne Hochhäuser, die er dann auch in Amerika mittels Stahlkonstruktionen realisieren konnte. Interessant zu lesen sind im Band auch die diversen Streitigkeiten mit den Auftraggebern und Auftraggeberinnen. Mies van der Rohe war einer der Architekten, die den so genannten „International Style“ prägten, dessen Merkmale Einfachheit und große Glasfronten waren. Zahlreiche weitere Beispiele mit Fotos und Plänen runden den interessanten Band ab. Bernadette Posch Heimatland Größing, Sigrid-Maria: Tragödien im Hause Habsburg Wien: Ueberreuter 2006. 207 S., € 19,95 Nach Schatten über Habsburg und Mord im Hause Habsburg beschäftigt sich die Autorin diesmal mit den Tragödien, deren es über die Jahrhunderte mehr als genug gegeben hat. Die Gründe dafür waren zumeist die rücksichtslose Heiratspolitik und die fortschreitende Inzucht. Größing beschränkt sich auf vier ziemlich bekannte Persönlichkeiten: Marie Antoinette, Leopoldine von Brasilien, Maximilian von Mexiko und Karl I., unserem letzten Kaiser. Jeder bzw. jedem ist ein ausführliches Kapitel gewidmet – beginnend mit Marie Antoinette und der Schilderung ihrer unbeschwerten Jugend in Wien, welcher schwierige Ehejahre und schließlich ein tragisches Ende auf der Guillotine folgen. Das leitet über zu Franz Josephs jüngerem Bruder Maximilian, der sich, aus dessen Schatten heraustretend, dazu drängen ließ, die mexikanische Krone anzunehmen – und letztlich erschossen wurde. Ebenso wie Marie Antoinette und Maximilian hatte Leopoldine in der Ehe wenig Glück. Ihr brasilianischer Ehemann Dom Pedro hat sie regelmäßig betrogen und geschlagen, sie hatte unzählige Fehlgeburten, und starb noch bevor sie 30 war. Ein typisches Schicksal der damaligen Zeit. Das Buch endet mit einem Kapitel über Karl I., auch er war ein Opfer der Umstände, auch er hatte eine ehrgeizige Ehefrau – Zita von Bourbon-Parma – und wenig politisches Glück. Als er sich weigerte abzudanken, schickte man ihn mit seiner Familie ins Exil nach Madeira, wo er an einer Lungenentzündung starb. Später wurde er dann selig gesprochen – und man fragt sich heute, wofür. Tragödien im Hause Habsburg ist ein gutes Buch Habsburg-Interessierte – und eventuell auch ein Einstieg zum näheren Kennenlernen der vorgestellten Personen. Doris Wanner Sachbuch Heimatland Kindermann, Dieter / Vogl, Gerhard: Politik aus nächster Nähe. Österreichs Geschichte in Geschichten Wien: Kremayr & Scheriau 2006. 256 S., € 22,00 Laut Wikipedia, der freien Internet-Enzyklopädie, ist die Anekdote eine der Kurzgeschichte und dem Schwank verwandte literarische Gattung, die eine bemerkenswerte oder charakteristische Begebenheit zur Grundlage hat. Um richtig zu wirken, bedarf die Anekdote einer Pointe. TorbergBiograf Frank Tichy hält die Anekdote für die „kongeniale Form zur Tradierung österreichischer Geschichtsbilder“. Und Bruno Kreisky, der häufig aus Torbergs Tante Jolesch zitierte, meinte in seinen Memoiren: „Es gibt für alles in Österreich eine Anekdote, ja, unsere ganze Geschichte lässt sich auflösen in Anekdoten“. Grund genug für die einschlägig erfahrenen Autoren Kindermann und Vogl, die österreichische Innenpolitik und das österreichische Wesen in Geschichten, Schnurren und Anekdoten auf den Punkt zu bringen. Die G'schichtln über Politiker, Künstler, Medienleute, Kirchenvertreter, Spione oder Galionsfiguren des Wiener Nachtlebens umreißen ein typisches Bild des Homo austriacus – mit seinem Hang zu Titeln und Orden, seinem besonderen Verhältnis zum Tod oder seinem Lieblingsmotto Wein, Weib, Gesang. Keine österreichische Eigenheit bleibt ausgespart, niemand und nichts ungeschoren, die Vielfalt der bespöttelten Schwächen und Seltsamkeiten, aber auch der liebevoll unter die Lupe genommenen Stärken, ist beeindruckend und macht die Sammlung zu einem abgerundeten Kompendium – nicht nur für gelernte ÖsterreicherInnen. Kongenial auch die Karikaturen (von „Ironimus“) zu dieser Anekdotensammlung, die man nicht zuletzt durch ihre ungewohnte Aktualität zu den besonders gelungenen zählen darf. Franz Plöckinger Mokrejs, Adi: Bergwanderatlas Niederösterreich. 150 Bergwanderungen und viele Varianten Wien: Schall 2006. 280 S., € 29,80 Nach Berggruppen und Tourengebieten gegliedert, illustriert dieser Wanderatlas Touren, die nicht nur für Wanderer, sondern auch für Mountainbiker, Nordic Wal- 19 ker und Schneeschuhwanderer interessant sind. Es handelt sich um Halbtages- bis maximal Tagestouren und ist ideal geeignet für die Planung eines Wochenendes im Freien. Vor Beginn der eigentlichen Tourenbeschreibungen werden tabellarisch die wichtigsten Parameter skizziert, Einzelheiten zur Kindereignung oder die Gefahren in den Bergen erläutert. Es folgt eine detaillierte Tourenbeschreibung mit Hinweisen auf Sehenswürdigkeiten oder naturkundliche Besonderheiten. Neben den zahlreichen Fotos vervollständigen Kartenausschnitte die Beschreibungen. Durch die farblichen Hervorhebungen, etwa im so genannten Beschreibungskopf oder auch im Text, wirkt das Buch sehr bunt und lebhaft. Generell macht die moderne Aufmachung einen durchaus positiven Eindruck. Andreas Heidenreich Nelson, David L.: Wien für den Musik-Liebhaber Aus dem Englischen Wien: Brandstätter 2007. 222 S., € 19,90 David L. Nelson ist wahrhaft ein Liebender, jedes Wort zeugt von seiner Liebe zur Musik und zu der von ihm ernannten Welthauptstadt der Musik. Und so liest sich das Buch auf jeder Seite wie eine Werbeschrift mit gut recherchierten Inhalten für Einheimische und BesucherInnen. Der Beschreibung der ehemaligen sowie der aktuellen Aufführungsstätten in Wien folgt ein Kapitel über die berühmtesten Orchester. Nicht fehlen dürfen natürlich die Wiener Sängerknaben mit ihrer 500-jährigen Tradition. Neben Gedenkstätten an Komponisten werden die wichtigsten Ausstellungsstücke sowie überlieferte Ereignisse, die sich an diesen Orten abgespielt haben sollen, erwähnt. Mittels Stadtplanausschnitten werden Spaziergänge beschrieben, die an Gedenkorten, Wohnstätten und Gedenksteinen der großen in Wien lebenden Komponisten vorbeiführen. Am Ende dieses an Fakten überreichen Bands gibt es noch ein musikalisches Who's who und ein Verzeichnis mit Adressen, Telefonnummern und Öffnungszeiten der wichtigsten Gedenkstätten. Ein bißchen vermißt man lediglich die Abgründe Wiens, die gar nicht zur Sprache kommen, dem gelernten Wiener aber durchaus bekannt sind. In diesem Sinne doch wohl mehr ein Buch für Touristen. Johanna Mitterhofer Das große österreichische Gartenbuch Wien: Ueberreuter 2007. 319 S., € 34,95 Redaktion: Elke Papouschek & Veronika Schubert Besonderes Anliegen dieses Kompendiums ist es, HobbygärtnerInnen Ratschläge, Anregungen und Expertentipps von Gartenprofis sowie Pflanzenporträts mit besonderem Bezug zu Österreich zu bieten. Die Besonderheiten von Klima und Bodenverhältnissen in Österreich, die sich auf die Pflanzenwelt auswirken und eine kurze Geschichte der Gartenkultur in Österreich sind einer Gliederung des Landes in die vier Klimaregionen vorangestellt. In den höchst unterschiedlichen Landschaften Österreichs gedeihen Pflanzen verschieden gut. Im zweiten Kapitel werden Grundlagen der Gartengestaltung skizziert, ehe etwas detaillierter auf die besonderen Anforderungen von Zier-, Kräuter-, Gemüse-, Obstgarten sowie auf die Gestaltung von Balkonen und Terrassen eingegangen wird. Der dritte Abschnitt gibt Hilfestellung bei den im Garten anfallenden praktischen Arbeiten, von der Bodenbearbeitung übers Düngen bis zur Bekämpfung von Schädlingen und Krankheiten. Im Anschluss an die darauf folgenden Pflanzenportraits finden sich Glossar, Register, kurze Autorenportraits, Literaturhinweise und für Hobbygärtner in Österreich interessante Adressen. Eva Fritschen Sachbuch Heimatland 20 Praschl-Bichler, Gabriele: „Ich bin bloß Corvetten-Capitän…“ Private Briefe Kaiser Maximilians und seiner Familie Wien: Ueberreuter 2006. 239 S., € 19,95 Erzherzog Ferdinand Maximilian von Habsburg, jüngerer Bruder von Kaiser Franz Joseph, wird 1832 in eine große Familie hineingeboren, in der Kinderliebe nicht nur aus dynastischen Gründen gepflegt wird. In ihren Gewohnheiten sind die Habsburger wie bürgerliche Familien, die sich in Privatbriefen persönlich, fröhlich, um das Wohl der Kinder besorgt und mit den kleinen Angelegenheiten des Alltags beschäftigt zeigen. Durch diese Briefe, die nur privater Kommunikation dienen, kommen viele unbekannte Details an die Öffentlichkeit, z. B. über den Charakter Maximilans, der eitel ist, Zeremonien und auf ihn zugeschnittene Empfänge liebt. Über die politischen Machenschaften um Maximilians Mexiko-Regentschaft wird im vorliegenden Buch nichts berichtet, es geht meistens um die Erzherzogin Sophie und ihre Beziehungen zu ihren Söhnen und ihrer Schwiegertochter Elisabeth, die sehr harmonisch und sehr friedlich verlaufen sein sollen. Der mit einfarbigem Bildmaterial ausgestattete Band der bekannten Historikerin wird unter den Habsburg-interessierten LeserInnen bestimmt Anklang finden. Renate Zeller Lehner, Gerald: Zwischen Hitler und Himalaya. Die Gedächtnislücken des Heinrich Harrer Wien. Czernin 2007. 303 S., € 24,40 Sieben Jahre in Tibet ist eines der weltweit erfolgreichsten Reisetagebücher aller Zeiten. Sein Autor, der niemals wirklich geläuterte Nazi-Sympathisant Heinrich Harrer, wurde schon zu Lebzeiten zur Galionsfigur des „unpolitischen“ Alpinismus gekürt, obwohl Kritik selbst aus alpinistischen Kreisen an Harrers nie aufgearbeiteter Vergangenheit geübt wurde. Einer dieser Kritiker ist der österreichische Redakteur und Filmemacher Gerald Lehner. In seinem Buch zeichnet er den Lebensweg des 2006 mit großem Pomp zu Grabe getragenen Harrer nach: Seit 1933 illegaler österreichischer Nationalsozialist, Mitglied der SS, nach der triumphalen Erstdurchsteigung der Eiger-Nordwand Empfang bei Adolf Hitler; in Folge der Verhaftung durch britische Behörden während einer Expedition; Flucht nach Tibet; Berater des jugendlichen Dalai Lama; im Jahr 1952 Rückkehr nach Österreich – politisch wendig und vergesslich wie ein ehemaliger österreichischer Bundespräsident. Lehner, der einräumt, lange Zeit vom Alpinisten und Reiseschriftsteller Harrer (nicht zu Unrecht!) fasziniert gewesen zu sein, hat akribisch Archive gesichtet und Harrer im persönlichen Interview behutsam mit dessen Vergangenheit konfrontiert, aber auch auf die Endfassung der Verfilmung von Harrers Klassiker Sieben Jahre in Tibet mit Brad Pitt einwirken können, was er auch, keineswegs uneitel, breit auswalzt. Hoch anzurechnen ist Lehner jedoch, dass er mit dem noch immer grassierenden völlig kritiklosen DalaiLama-Kult, der ja auch ein Verdienst Harrers ist, aufräumt. Vieles verdankt der Autor den Vorarbeiten von Rainer Amstädter, was er an Hand einer umfangreichen Literaturliste, einer umfangreichen Link-Sammlung sowie zahlreichen Danksagungen dokumentiert. Rudi Hieblinger Schachinger, Marlen / Haubenberger, Sigrid: Wien. Stadt der Frauen. Eine Reiseführerin Wien: Promedia 2006. 240 S., € 17,90 Rauscher, Hans: Die Bilder Österreichs. Ikonen unserer Identität Wien: Brandstätter 2006. 320 S., € 34,90 Der Journalist Hans Rauscher hat bereits eine Anzahl von Büchern, meist politischen Charakters, veröffentlicht. Der vorliegende Band versammelt kommentierte Bilder zur österreichischen Geschichte: ein Bildmuseum. Hans Rauscher spannt dabei einen umfassenden Bogen von den Staatssymbolen Österreichs, den Symbolen der Bundesländer zu den Schlüsselbildern unserer Geschichte. Von der steinzeitlichen Venus von Willendorf bis zum EU-Beitritt Österreichs und seiner Rolle in dem neuen Staatenverbund. Auf 320 Seiten sind hier 1100 Jahre österreichischer Geschichte fein aufbereitet dargestellt. Das umfangreiche Bildmaterial wird durch kurze erklärende Texte kommentiert. Der prächtig gestaltete Band ist eine gelungene Ergänzung zum Buch Österreich. Man schmökert mit Genuss darin und bekommt dabei Lust auf vertiefende Lektüre. Ein Bilderbuch für Erwachsene, das, so viel lässt sich bereits jetzt sagen, in der heurigen Weihnachtssaison sicherlich in guter Position ins Rennun gehen wird. Maria Hammerschmid Dieses Buch ist kein Reiseführer (pardon: Reiseführerin) im herkömmlichen Sinn. Nach Bezirken geordnet, werden Häuser, Plätze und Denkmäler angeführt, die an Frauen erinnern, die hier einmal gelebt, gewirkt oder gearbeitet haben. Das sind Clubs, Ausbildungsstätten wie z. B. Madame d’Oras ehemaliges Atelier in der Wipplingerstraße, das von Rahel Whiteread gestaltete Mahnmahl am Judenplatz u. a. m. Zwei übergroße Buchstaben, nämlich K und L, die 2006 an der Fassade des Hauses Ebendorferstraße 7 angebracht wurden, sollen die 1942 ermordete Käthe Leichter in Erinnerung bringen. Dieses Buch ist ein „Who is Who“ der Wiener Frauengeschichte und verleitet zu einer entsprechenden Spurensuche durch Wien. Der Anhang bietet ein ausführliches Personenregister, ein Straßenverzeichnis, eine Bibliografie und ein Internet-Lexikon. Marianne Valipour Sachbuch Heimatland Schafranek, Hans: Sommerfest mit Preisschießen. Die unbekannte Geschichte des NS-Putsches im Juli 1934 Wien: Czernin 2006. 356 S., € 24,60 Der Titel des Buches Sommerfest mit Preisschießen ist einem Funkspruch der österreichischen SA-Führung in München entnommen, mit dem sie den Gruppen im Land das Signal zum Losschlagen gegeben hat. Die Dynamik der Aufstandsbewegung der SA bildet auch den Schwerpunkt der Fragestellung Schafraneks. Zwischen der von Theo Habicht dominierten Landesleitung der NSDAP und der österreichischen SA-Führung bestand ein konfliktbeladenes Konkurrenzverhältnis. Parallele, abgeschottete Machtstrukturen führten dazu, dass unabhängig voneinander Putschpläne entworfen wurden, von denen die jeweilige „andere“ Seite nicht in Kenntnis gesetzt wurde. Die Putschisten in Wien wurden am 25.Juli 1934 von dem in die SA eingegliederten, aber noch immer eine eigene Politik verfolgenden Steirischen Heimatschutz unterstützt. Obwohl das Scheitern des Putsches in Wien bereits nach wenigen Stunden offensichtlich war, wurde die SA-Führung in München von den Ereignissen überrascht, geriet unter Druck und gab ihrerseits – gegen eine ausdrückliche Weisung Hitlers – das Kommando zum Losschlagen und mobilisierte auch die aus geflüchteten Nazis gebildete Österreichische Legion, die aber aus außenpolitischen Erwägungen nicht zum Einsatz kam. In einigen Bundesländern kam es danach zu lokalen Erhebungen und blutigen Auseinandersetzungen ... Der Kampf um die Staatsmacht in Österreich sollte nach dem Scheitern des SS-Putsches zugleich ein vergeblicher Versuch sein, die Position der SA nur einige Wochen nach der Liquidierung von deren oberster Führung im sogenannten Röhm-Putsch von neuem zu stärken. Schafranek hat die Forschung über die Ereignisse des Juli 1934 entscheidend bereichert. In akribischer Kleinarbeit rekonstruiert er anhand einer Fülle von ausgewerteten Quellen die wesentlichen Handlungsstränge und vermittelt mit seiner spannend zu lesenden Arbeit, ergänzt durch einen umfangreichen Dokumententeil, zugleich ein anschauliches und abschreckendes Bild von terroristischem 21 Aktivismus. Neben den Büchern von Gerhard Jagschitz (Der Putsch, 1976) und Kurt Bauer (Elementar-Ereignis, 2003) kann Sommerfest mit Preisschießen den Rang eines weiteren seriösen Standardwerkes zur Geschichte des NS-Putsches beanspruchen. Heimo Gruber Schall, Kurt: Klettersteig-Atlas Österreich. Alle 200 Klettersteige und Sportklettersteige Wien: Schall-Verlag 2006. 440 S., € 29,90 Beim Einstieg in dieses Buch denkt man zunächst, man hat es angesichts der Informationen, die sich wie eine senkrechte Wand vor dem Leser aufbauen, mit Schwierigkeitsgrad E zu tun. Hat man aber erst mal die erste Seillänge, restriktive die Inhaltsübersicht und die Gebrauchsanweisung hinter sich, erweist sich die Lesetour für den Klettersteigfreund als äußerst erfrischend und die Vorfreude auf so manchen Steig ist schwer zu bremsen. Zunächst werden die Klettersteige von leicht bis extrem schwierig sowie die interessantesten gesicherten Steige vorgestellt. Die äußerst gelungene Bestandsaufnahme erfolgte bis Juni 2006, viele der Klettersteige werden hier also erstmals präsentiert. In der Klettersteigübersicht werden vorweg Schwierigkeitsgrad, Höhenmeter, Kletterzeit, Zustiegszeit, Fun-Faktor, Sicherheitsfaktor und Anforderungsprofil sowie die Tauglichkeit für Kinder angegeben. Anschließend werden sämtliche beachtenswerte Faktoren im Detail ausgeführt. Neben Fotoaufnahmen und kleinen Kartenausschnitten sind zweifellos die zahlreichen Anstiegsskizzen ein Gewinn. Dadurch kann sich von zu Hause aus auf maßgeschneiderte Touren vorbereiten. Der Verleger Kurt Schall präsentiert mit diesem Klettersteigführer ein ausgezeichnetes Werk, das einer momentan boomenden Modesportart noch mehr Fans bescheren wird. Stefan Lichtenegger Sattmann, Alexander: Kärnten verstehen. Geheimnisse – Besonderheiten – Anekdoten Graz: Lykam 2006. 160 S. , € 14,90 „Kärnten is a Wahnsinn“ – so der sinnige Titel der Tourismusindustrie: Kärnten zwischen Kameradschaftsbündlern und Wörtherseefilmen, zwischen Exilanten wie Handke und Turinni, zwischen Karl Heinz Gasser und Jörg Haider. Alle diese Verwerfungen zwischen diesen Parallelwelten und die Unberechenheit dieser Grenzgänger machen es schwer, Österreichs tiefen Süden zu verstehen. Der ORF-Journalist Sattmann beschreibt mit leichter Hand, aber stets mit Liebe die bekannten und unbekannten Widersprüche seiner Heimat. Nach dem Motto „Mundart bringt Sympathiepunkte“ erklärt er im Kapitel „Sproch und Gfühl“ den Kärntner Dialekt. Nach einem vergnüglichen Sprachlehrgang wendet sich Sattmann einem strittigen Thema zu: den Kärntner Minderheiten. Mit vielen Textbeispielen wie zum Beispiel einem langen zweisprachigen Gedicht wird der zweisprachigen Situation in Kärnten auf humorvolle Art Rechnung getragen. Der Autor versteht es, heikle Themen nicht nur besonnen darzustellen, sondern immer wieder auch Anekdoten neben Fakten zu stellen. Um wen es schließlich im Kapitel „Politik und Er“ geht ist klar ... Ein gelungenes Buch mit mehr Tiefgang und Information als man zunächst vermutet. Sattmann hat eine Menge Material zusammengetragen. Vom Kochrezept bis zum Liedtext ist hier alles versammelt – und von den historischen Anekdoten gar nicht zu reden ... Mike Stappen Sachbuch Heimatland 22 Speil, Rudolf: Klammen & Schluchten in Österreich. An tosenden Wassern Graz: Leopold Stocker Verlag 2006. 303 S., € 17.90 Klammen und Schluchten, häufig in Kombination mit Bergtouren erwähnt, haben etwas Unheimliches und Magisches, was für manche gerade ihren Reiz ausmacht. Im vorliegenden Fall sind sie Gegenstand eines sehr persönlichen Wanderführers des passionierten Wanderers Rudolf Speil. Geschickt baut der Autor Legenden und Erzählungen in die jeweilige Wanderung ein, mengt liebevoll persönliche Erlebnisse und Geschichten bei, was das Buch so sympathisch macht. Immer wieder beschreibt Speil kleine Details, unauffällige, aber interessante Plätze oder Inschriften und kleine Kunstwerke, über die der aufmerksame Wanderautor kurzweilige Geschichten zu erzählen weiß. Äußerst dürftig beschrieben sind indes Zufahrten und Zugänge; die den Beschrei- bungen vorangestellten Karten, wenn man die spartanischen Linienumrisse der jeweiligen Region denn so bezeichnen will, sind schlichtweg umbrauchbar. Aber vielleicht will der Autor es dem Entdecker von Klammen nicht so leicht und die Suche danach zu einem Abenteuer machen. Die leider nicht immer genau zuordenbaren Fotos des liebevoll erarbeiteten und ansprechenden Buchs zeigen schließlich so manche versteckte Schönheit des Landes. Stefan Lichtenegger Innen, sowie deren „ethnische Identifikationen“. Eingebettet in die Betrachtungen unterschiedlicher Integrationsbestrebungen und Sozialisationshintergründe zeigt sich am Ende des Buches ein höchst heterogenes Bild, das im Grunde keine allgemeinen Schlüsse zulässt. Wie junge Muslime der „Zweiten Generation“ mit ihren kulturellen und religiösen familiären Wurzeln umgehen und wie sich Sozialisation und Identifikation auf die Integration auswirken ist sehr unterschiedlich. Bei dem vorgestellten Buch handelt es sich um die Publikationsfassung einer Dissertation an der Universität Graz. Der empirische Teil der Untersuchung ist informativ und gut gearbeitet. Der theoretische Teil lässt allerdings besonders hinsichtlich der analytischen Zugänge zu Ethnizität, Integration und Identität einige der innovativeren Standardwerke aus dem interdisziplinären Umfeld vermissen. Als eine der wenigen Arbeiten, die sich empirisch mit dieser Thematik beschäftigen, ist das Werk besonders für Studierende und FachleserInnen dennoch empfehlenswert. Als Einführung für die allgemein interessierten LeserInnen ist es jedoch durch den streng formalen Aufbau und die etwas sperrige Sprache weniger geeignet. Peter Karall auf die Zeit der ersten Christen. Der Autor ist der Meinung, nur so könne das Neue Testament überhaupt verstanden werden, indem man die Zeit und das Denken der damaligen Zeit versteht. Dabei möchte er mit den LeserInnen kommunizieren, denn nur so ist ein Lesen des Textes sinnvoll und trägt zum besseren Verständnis bei. Der Autor gibt zu Beginn des Buches einen groben Überblick, der zur Einleitung dienen soll und erste Einblicke in die Zeit der ersten Christen liefert. Der Hauptteil ist dem ursprünglichem Text gewidmet. Die Evangelisten werden einzeln analysiert und ihre Schreibweise gedeutet. Im Anschluss werden Leben und Wirken der Personen Jesus und Paulus durchleuchtet, da sie die Schlüsselfiguren im Neuen Testament und der frühchristlichen Zeit sind. Der „Begleiter“ muss dabei nicht von Anfang bis Ende gelesen werden. Die LeserInnen können sich Teilbereiche heraussuchen und quer durch das ganze Buch lesen oder sich gezielt Informationen holen. Der Autor empfiehlt den LeserInnen allerdings auch, ein Neues Testament zur Hand zu haben, da sein Buch eben nur ein „Begleiter“ sein möchte und den Originaltext nicht ersetzt. Stefan Schreiber bemüht sich um eine einfache Schreibweise, ohne dabei sein Fachwissen zu untergraben. Das Buch ist auf jeden Fall nicht für Laien geeignet. Vorwissen ist sehr hilfreich, kann aber bei gleichzeitiger Lektüre des „Neuen Testament“ ansatzweise kompensiert werden. Fachinteressierten LeserInnen, vorzugsweise solchen, die sich mit der Materie eingehender beschäftigen, bietet das Buch also eine Fülle von Informationen. Jacqueline Kebza Gott und die Welt Ornig, Nikola: Die Zweite Generation und der Islam in Österreich Graz: Leykam 2006, 422 S., € 39,90 Fragen zu Identität, Religiosität und Integration ethnischer Minderheiten mit muslimischem Hintergrund in Österreich stehen im Zentrum dieser Untersuchung. Nach einer allgemeinen Einführung in einige soziologische Theorien und Definitionen zu Kultur, Ethnizität und Identität widmet die Autorin den bekannten Postulaten von Samuel Huntington und Edward Said rund um das konfliktäre Verhältnis „Islam“ und “Westen“ einen eigenen Abschnitt. Anhand der Arbeiten von Bassam Tibi und Tariq Ramadan wird im weiteren der allgemeine Versuch unternommen die Rollen, Möglichkeiten und Probleme des Islam innerhalb Europas auszuloten. Ein kurzer Abriss über die historische Entwicklung der Glaubensrichtung selbst, ihre verschiedenen Ausformungen und deren rezente rechtliche Stellung in Österreich runden den theoretischen Teil der Studie ab. Der empirische Teil der Untersuchung konzentriert sich auf die Lebenssituation junger muslimischer Erwachsener der „Zweiten Generation“. Unter dem Begriff „Zweite Generation“ subsumiert die Autorin junge Menschen im Alter von 18 bis 30 Jahren, „deren Eltern aus einem mehrheitlich muslimischen Land nach Österreich migriert waren und die selbst bereits in Österreich geboren wurden oder spätestens im Volksschulalter nach Österreich gekommen sind“. Anhand 33 ausführlicher Interviews analysiert Nikola Ornig die unterschiedlichen Ausformungen und Bedeutungen von Religion im Leben ihrer Gesprächspartner- Schreiber, Stefan: Begleiter durch das Neue Testament Düsseldorf: Patmos 2006. 335 S., € 25,60 Das Buch Begleiter durch das Neue Testament möchte genau dieses sein: ein Begleiter, der aber vor allem Wert legt auf die zeitgeschichtlichen Hintergründe, also Sachbuch 23 Gott und die Welt Uhl, Alois: Die Päpste und die Frauen Düsseldorf: Patmos 2006. 271 S., € 20,50 Wie schon in seinem vor zwei Jahren erschienenen Buch Papstkinder hat Alois Uhl hier wieder einen brisanten Aspekt der Kirchengeschichte aufgegriffen: die Rolle und der Einfluss von Frauen im Leben von Päpsten, deren Frauenbild und Umgang mit dem anderen Geschlecht etc. Es sind nicht gerade Heerscharen von Frauen, die im Lauf der Kirchengeschichte in Erscheinung treten. Andererseits sollte die Wirkung der singulären Frauengestalten, die gerade in der frühen Papstgeschichte auftreten, nicht unterschätzt werden. Die byzantinische Kaiserin Pulcheria nahm im Jahr 451 am Konzil teil und gegen ihren Willen konnten keine Beschlüsse gefasst werden. Im 10. Jahrhundert machte die Senatrix Marozia ihren Einfluss geltend, erteilte Anordnungen, setzte schließlich sogar ihren Sohn zum Papst ein. Auch ohne offizielle Machtstellung konnten im Mittelalter einzelne Frauen zur grauen Eminenz werden und eine charismatische Autorität ausüben. Besonders farbig waren die Beziehungen zwischen Frauen und Päpsten in der Zeit der Renaissance. Es gab verheiratete Päpste, die im Vatikan ein Familienleben führten, es gab berühmte Papsttöchter wie Lucrezia Borgia und Papstgeliebte wie Giulia Farnese. Eine besondere Episode der Papstgeschichte, die auch in der Literatur ihren Widerhall gefunden hat, ist die Geschichte der angeblichen Päpstin Johanna aus dem 9. Jahrhundert. Wichtiger als die Auflösung eines historischen Rätsels ist für Uhl jedoch die Aussagekraft dieser Figur, in der der Gegensatz zwischen Frau und Papst für einen kurzen Moment suspendiert wird. Der Blick auf die Gegenwart führt zu einem ernüchternden Fazit. Dem mehrheitlich weiblichen Kirchenvolk steht eine Leitung gegenüber, die zur Gänze aus Männern besteht: Papsttum und Kirche – eine anachronistische Männerbastionen. Der Einfluss der Frauen ist heute sogar geringer als in den Anfangszeiten der Kirche. Alois Uhl hat kein ketzerisches oder polemisches Buch geschrieben, vermeidet es aber auch, zu beschönigen. Seine Darstellung ist sachlich, ausgewogen und um Verständlichkeit bemüht. Wolfgang Chesnais Gesund an Leib und Seele Grönemeyer, Dietrich: Lebe mit Herz und Seele. Sieben Haltungen zur Lebenskunst Freiburg: Herder 2006. 21 S., € 17,40 Nach den Publikationen Mensch bleiben und Mein Rückenbuch bringt der deutsche Radiologe und Mikrotherapeut Grönemeyer einen Beitrag zur Wertedebatte heraus, in dem er sieben Haltungen zur Lebenskunst thematisiert. Es ist ein sehr persönlich gehaltenes Plädoyer für bewusstes, verantwortliches Leben in größtmöglicher Lebensvielfalt – ein Eintreten für die Erhaltung von Werten, für den Respekt vor dem Individuum in seinem jeweiligen Gedanken-, Gefühls-, und Kulturausdruck. Lebe mit Herz und Seele ist ein Buch gegen die zunehmende Mutlosigkeit und Resignation und ein Mutmacher für Selbstbestimmung, Selbstverantwortung und Engagement. Darin inkludiert ist, dieses Leben auch zu entwickeln: selbst und mit anderen Perspektiven auch neue Lebensformen zu gewinnen, bis hin zur „globalen Geschwisterlichkeit“, auch aus dem Wissensschatz anderer Kulturen zu lernen. Nach seiner Einschätzung sind wir jedoch nahe daran, unsere gemeinsame Lebensgrundlage, die Erde, zu zerstören ... Der Appell für ein selbst gestaltetes und selbst verantwortliches Leben gründet sowohl auf Erkenntnissen aus seiner ärztli- chen Tätigkeit, als auch auf persönlicher Reflexion. Viele psychosomatische Befindlichkeitsstörungen haben ihre Ursache in gebundener oder unaufgelöster Angst. Grönemeyers ehrenwerten Ansätze zur Reflexion des Lebenskunstwerkes erscheinen keineswegs unrichtig, doch zu moralisierend und von jenem pastoralen Tonfall infiziert, der etwas einschläfernd wirkt. Eine Mischung aus Sachinformation, Bekenntnisliteratur und Seminarleiterpädagogik, mit einem Schuß therapeutischer Intention. Ein zweifellos engagierter, um die Sache bemühter Beitrag, der eben die Mühen der Erkenntnis stilistisch zu glätten versucht und als Ergebnis einen Verhaltenskatalog von der Kanzel predigt. Christa Mayer Kiefer, Ingrid: Schlank ohne Diät. Das Programmbuch Leoben: Kneipp 2006. 214 S., € 19,90 Das Schlank-ohne-Diät-Programm, das ja fast eine Marke ist, wurde vor über 20 Jahren an der Universität Wien entwickelt. Laut Selbstdefinition des Ärzteteams (den AutorInnen) ein „modernes, wissenschaftliches Lifestyle-Programm“. Dieses Gewichtsreduktionsprogramm – das Wort Diät ist eigentlich nur am Buchdeckel zu finden – besteht im Wesentlichen aus vier Komponenten: Einstellung, Ernährung, Bewegung, Verhalten. Die Einschränkungen werden GenießerInnen sehr entgegenkommen: Keine Verbote, Berücksichtigung verschiedener Vorlieben, Unterstützung durch „modernes coaching“ via Internet. Kleiner Wermutstropfen: Ein Bisschen bewegen oder Sport treiben sollte man dann doch. Aber keine Angst: Es wird einem genau gesagt, wie viel Bewegung nötig ist, um eine Tafel Schokolade oder eine Salamipizza zu „verbrennen“. Auch erfährt man endlich die Vor und Nachteile seines Ess-Typs. Das Buch ist übersichtlich gestaltet mit vielen Fotos von Leckereien, die man jetzt nur mehr in Maßen genießen sollte. Ergänzend gibt es eine umfangreiche, schön gestaltete Kalorientabelle mit einer „Bewegungstabelle“ als Pendant. Von ÄrztenInnen verfasst, kommt das Buch streckenweise doch recht technisch und wissenschaftlich rüber, beibt aber immer lesbar. Absolut empfehlenswert für GenießerInnen die mit ihrem Gewicht nicht zufrieden sind und denen immer noch nicht in den Sinn gekommen ist, dass die Tafel Schoko oder das Leberkässemmerl als Betthupferl vielleicht an ihrem Übergewicht beteiligt sind! Die Experten der deutschen Stiftung Warentest bewerteten das Buch sogar als „ausgezeichnet“. Bernhard Waschak Sachbuch Gesund an Leib und Seele 24 Kirshenbaum, Mira: Paare im Zeitstress. Nähe und Verbundenheit auch im hektischen Alltag schützen Aus dem Englischen Freiburg: Herder 2006. 256 S., € 17,20 Die Autorin setzt sich mit der Frage auseinander, wie man die Liebe in Paaren, die zueinander passen, aber durch ihren Lebensstil auseinander zu driften drohen, lebendig und prickelnd erhalten kann. Kirshenbaum findet es traurig, dass sich viele prinzipiell harmonierende Paare vom Alltagsstress unterkriegen lassen. In einer gelungenen Mischung aus Praxis- und Anschauungsbeispielen zeigt die Autorin Wege aus der Zeitkrise auf. Ausgehend von der Problemschilderung und der damit verbundenen Definition von Zeit als gemeinsame Zeit der Liebe bietet sie nachvollziehbare Handlungsanweisungen und Rezepturen an. Manche der Merksätze und Anleitungen, wie etwa „gut für sich selbst sorgen“, erweisen sich erst auf den zweiten Blick als Mittel, mehr positive Energie in die Beziehung zu bringen, manche hingegen, wie „nichts sagen, was der Beziehung schaden könnte“ sind auf Anhieb einleuchtend. Das Buch noch lesenswerter machen die diversen „Guerillastrategien“ (etwa LAL-„Lust auf Liebe“ ... ). Nach dem Motto „Weniger ist mehr“ zieht sich folgende Erkenntnis der Autorin als roter Faden durchs Buch: „Für mich lässt sich diese Erkenntnis kurz und prägnant in dem Vorsatz zusammenfassen, die qualitativ gute Zeit zu maximieren und die Zeiten zu minimieren, die mit Dingen angefüllt sind, die einfach sein müssen.“ Als weitere nützliche Tipps erweisen sich schließlich die Anleitungen, die vermeiden sollen, dass Ärger in die Partnerschaft hineingetragen wird. Ärger verhindert Nähe, Ärger fordert Zeit, um Verletzungen heilen zu lassen, um Momente der intimen Liebe stattfinden zu lassen Aus der Masse der Ratgeber, die uns glücklicher, reicher, klüger machen wollen, ragt dieser Ratgeber von Mira Kirshenbaum durch Themenwahl und Ausführung meilenweit hinaus. Viele Paare wären möglicherweise jetzt noch zusammen, hätten sie dieses Buch gelesen. Christian Jahl Schlank ohne Diät für Kinder. Programmbuch für Eltern Leoben: Kneipp 2006. 165 S., € 19,90 Ein AutorInnenteam von führenden ExpertInnen der Ernährungswissenschaften, Sportmedizin, Psychologie, Kinderkardiologie, Sozialmedizin, Psychotherapie beschäftigt sich in Schlank ohne Diät für Kinder mit der Veränderung von Freizeit und Konsumgewohnheiten. Vor allem ungesunde Ernährung und Bewegungsmangel sind dafür verantwortlich, dass heute in der industrialisierten Welt jedes vierte Kind als zu dick eingestuft wird. Setzt sich dieser Trend fort, wird im Jahr 2010 die Hälfte aller Kinder übergewichtig sein. Zu Maßnahmen für ein gesundes Leben kann man niemanden, schon gar nicht Kinder, zwingen. In jedem Fall aber spielen die Eltern, die das betroffene Kind beim Programm durch Motivationsarbeit unterstützen sollen, eine entscheidende Rolle. Einstellung, Ernährung, Bewegung und Verhalten sind die vier Komponenten, auf denen dieses Gewichtsreduktionsprogramm basiert. Es werden die möglichen Ursachen für die Entstehung des Übergewichtes, aber auch die körperlichen und seelischen Auswirkungen beschrieben. Zusätzlich gibt es wichtige Ernährungs- und Bewegungsinformationen und ein Kapitel über Essstörungen. Im zweiten Teil des Buches gibt es eine genaue Anleitung zum Erarbeiten, Erklären und spielerischen Erlernen des Programms. Für die Kinder gibt es dazu ein spezielles Arbeitsheft. Das Programm ist für Kinder und Jugendliche der Altersstufen 5–8 sowie 9 –14 Jahre konzipiert. Es basiert auf den wissenschaftlichen Ansprüchen einer professionellen Therapie auf drei Ebenen: der kognitiven, der emotionalen, sowie der aktionalen Ebene. Hilde Steiner Schneider, Sylvia: Wie Lebensmittel und Medikamente unsere Kinder krank machen. Was Eltern dagegen tun können Wien: Ueberreuter 2005. 138 S., € 14,95 Bei den meisten Kindern beginnt falsche Ernährung bereits in ganz jungen Jahren: Süßigkeiten werden als Belohnung eingesetzt, es werden Fertiggerichte konsumiert, und auch Fastfood steht regelmäßig auf dem Programm – schließlich wollen alle Kinder die neuesten „Gadgets“ aus der „Happy Meal“-Tüte. Wer die Zutatenliste auch scheinbar gesunder Lebensmittel durchliest, erlebt manch böse Überraschung. So enthält etwa eine Kindermilchschnitte ungefähr ein Löffelchen voll Milch, aber jede Menge Zucker, und bei den Fruchtzwergen ist es ca. eine halbe Erdbeere pro Becher. Dass sich Kinder, vor dem Fernseher und dem Computer sitzend, zu wenig bewegen, macht die Sache auch nicht besser. In der Pubertät, vor allem von Mädchen, drohen dann Essstörungen wie Bulimie oder Magersucht, weil Medien ein völlig unrealistisches Frauenbild vermitteln. Was also tun? An sich ist es ganz einfach: Kinder leben immer nur so gesund, wie sie es von den Eltern vorgelebt bekommen: Fixe Essenszeiten, an denen die ganze Familie am Tisch sitzt (ohne Fernseher im Hintergrund), viel Obst und Gemüse, Bewegung an der frischen Luft etc. Das alles ist in der Praxis natürlich nicht immer leicht umzusetzten, aber Eltern, denen die Gesundheit ihrer Kinder am Herzen liegt, könnte dieses interessante Buch immerhin ein Ansporn sein. Doris Wanner Kinder- und JugendbuchBilderbücher Browne, Anthony: Matti macht sich Sorgen Oldenburg: Lappan 2006. 32 S., € 13,30 Wenn Matti sich Sorgen macht, kann er nicht einschlafen. Dabei scheinen diese Sorgen – über Hüte, Schuhe, Wolken und Regen – so harmlos zu sein. Aber was sich bei Tag harmlos gibt, kann in der Nacht ein Eigenleben entwickeln und sich endlos vervielfältigen: In grau schattierten Bleistift- oder schwarzen Tuschezeichnungen wandert eine Schuhkarawane unterm Bett hervor, droht das Bett im Wasser unterzugehen oder sogar ein Riesenvogel den Buben zu entführen. Doch durch die weißen Umrahmungen der Bilder auf fröhlich bunten Seiten wird die Angst für die BetrachterInnen unter Kontrolle gehalten. Matti hingegen merkt, dass die Beschwichtigungen seiner Eltern die Angst nicht vertreiben können. „Mach dir keine Sorgen” zu sagen ist eben zu einfach. Nur die Oma weiß mit Mattis Sorgen umzugehen: Sorgenpüppchen. Man muss ihnen nur die Sorgen erzählen, in der Nacht kümmern sie sich dann darum. Fall gelöst. Aber Matti wäre nicht ein Meister im SichSorgen-Machen, würden ihm nicht Bedenken über die Überlastung der Sorgenpüppchen kommen. Mit einer humorvollen Wendung wird Matti nun in die Position des Beschützenden versetzt. Vervielfältigt werden nicht mehr die beunruhigenden Gegenstände der Nacht, sondern die Sorgenpüppchen für die Sorgenpüppchen und so weiter und so weiter. Browne schmückt seine Erzählung um den guatemaltekischen Brauch mit dem Kontrast zwischen Schwarz-Weiß und fröhlichen Farben und erzielt damit ein sehr freundliches Buch, das Sorgen ernst nimmt und einen Weg zeigt, mit ihnen umzugehen. Eine angenehme, beruhigende Geschichte schon für jüngere Kinder. Ab 3 Jahren Veronika Freytag Egitz, Waltraud: Der Zottelbär Ill. v. Eric Battut Zürich: Bohem Press 2006. 32 S., € 13,90 In diesem in erster Linie in kräftigen Rotund Grüntönen gehaltenen Bilderbuch für kleinere Kinder steht das Thema Toleranz im Mittelpunkt. Ein neuer Waldbewohner ist aufgetaucht: der Zottelbär. Dem kleinen Bären ist das gar nicht recht, da er nicht bereit ist, die Früchte seiner Himbeerhecke mit dem Eindringling zu teilen. Mit lautem Gebrüll verjagt er ihn. Um sicher zu gehen, dass der Zottelbär auch nie wieder kommt, folgt er dessen Spur, um ihn für immer zu verjagen. Auf dem Heimweg trifft er jedoch den Zottelbären vor dessen Höhle, als dieser gerade Nüsse in seinen Honig rührt. Als der Zottelbär ihm verrät, dass der Honig so besser schmeckt, er aber noch viel besser schmecken würde, würde man zusätzlich Himbeeren mit einrühren, beschließt der kleine Bär, gemeinsam die 25 köstlichen Himbeeren von seiner Lieblingshecke pflücken zu gehen. Es ist dies eine leichtverständliche Fabel über die Toleranz Fremden gegenüber, über eine Freundschaft, der man Zeit und die Chance zum Entstehen geben muss. Die ruhigen, durch gelungene Farbkompositionen überzeugenden Illustrationen geben der Landschaft Raum und lassen die Akteure nur aus der Distanz erkennen, um die jeweiligen Egos nicht zu sehr in den Vordergrund zu stellen. Die in aller Unaufdringlichkeit vermittelte Botschaft dürften bereits Kinder ab 3 bis 4 Jahren verstehen. Ab 4 Jahren Erich Snobr Bansch, Helga / Heinz Janisch: Krone sucht König Wien: Jungbrunnen 2006. 24., € 13,90 Zu Beginn und am Ende dieses Bilderbuches finden die kleinen LeserInnen nummerierte Bilder, mit denen sie Schritt für Schritt eine goldene Krone aus Papier basteln können. Doch diese Krone hat auch eine Geschichte: Auf ihrem Ruhekissen liegend, beschließt sie, aus einem als Museum eingerichteten Schloss wegzufliegen und einen König zu suchen. Was sie draußen sieht, relativert ihren Wunsch jedoch nach und nach: ein alter Mann, der im Park die Blumen kommandiert, ein Postbote, der mit den Briefschreibern abrechnet, der Papa, der für sein Kind nur noch Verbote hat, der kleine Bub am Fußballplatz, der seine Mitspieler dominiert, ein Fisch, der unter Wasser die Farben diktiert ... Nachdenklich fliegt die Krone wieder zurück ins Museum und gibt acht, niemandem mehr in die Nähe zu kommen: Es können hier alle in Gedanken kurz König spielen, aber „das sollte genügen“. Das Thema Macht und wie sie die Menschen verändert wird in Krone und König kindgerecht präsentiert und zum anschaulichen Gegenstand möglicher durch das Buch angeregter Gespräche. Symbolisiert die Krone die Macht – oder vielleicht der kleine geringelte Fisch, der als „Maskottchen“ (mit braunem Lederrucksack auf einem roten Fahrrad) durch das Buch führt? Oder sind sie es beide? Das Buch ist Liebevoll bis ins kleinste Detail illustriert. Kräftige Farbtöne bilden im Wechsel mit zarten Bleistiftstrichen spannende Kontraste. Verschiedenste Perspektiven verändern die Sichtweise beziehungsweise erweitern den Blickwinkel. Die österreichische Illustratorin Helga Bansch und der Autor Heinz Janisch haben bereits eine Vielzahl von Bilderbüchern miteinander veröffentlicht. Zuletzt wurde ihr Bilderbuch Ein Haus am Meer (mit dem LesePeter) ausgezeichnet. Das thematisch und sinnlich anregende Buch Krone sucht König ist geradezu prädestiniert für eine weitere Auszeichnung! Ab 4 Jahren Karin Kiraly 26 Bilderbücher Goethe, Johann Wolfgang von: Der Zauberlehrling Ill. v. Sabine Wilharm Berlin: Kindermann 2006. 24 S., € 15,00 Endlich gibt es den Zauberlehrling in einer Version für Kinder! Ist doch kaum ein Gedicht so hochdramatisch und gleichzeitig so komisch. Der kindliche Wunsch, es dem Meister gleich zu tun und die Geister nach seiner Pfeife tanzen zu lassen, ist außerdem kaum so prägnant und vergnüglich in Worte gefasst worden. Mit der Reihe “Poesie für Kinder” erweitert der Kindermann-Verlag nun sein Programm der “Weltliteratur für Kinder”, in dem bekannte Texte der Weltliteratur im Bilderbuchformat in Szene gesetzt werden. Diesmal schafft Sabine Wilharm einen wahrhaft magischen und dynamischen Rahmen. Schon das Haus des Hexenmeisters sieht aus, als würde es nur durch ge- heime Zauberkräfte zusammengehalten, so instabil, schief und wackelig steht es da. Nicht nur der Zauberlehrling freut sich über die Abwesenheit des Hexenmeisters, auch zwei kleine Kobolde begleiten unseren Helden durch sein Abenteuer, aber während der immer verzagter und verzweifelter über die nicht zu stoppenden Wassermassen wird, genießen die beiden das Chaos offensichtlich. In seitenfüllenden, manchmal zweiteiligen Illustrationen, die nur von schmalen Textbändern durchzogen werden, wirbelt der Besen durchs Bild, ergießen sich simultane Wasserströme in alle nur erdenklichen Behälter, wird das Match zwischen Besen und Zauberlehrling auch über ihre herangezoomten Portraits mit den entsprechenden Mienen ausgetragen. Turbulent und wild ist in den Bildern ein Laufen und Fließen, der Zauberlehrling wird immer kleiner, die Besen immer schneller, das Wasser immer allge- Kunert, Günter: Josephine im Dunkeln Ill. v. Jutta Mirtschin Leipzig: leiv 2006. 17 S., € 13,30 Josephine, genannt Josi, ist ein aufgewecktes 6-jähriges Mädchen. So wie andere Kinder tollt sie gerne herum, spielt und freut sich ihres Lebens. Nur wenn es anfängt dunkel zu werden, verwandelt sich Josi in ein ganz und gar ängstliches Kind. Wahre Gruselfilme spielen sich da in ihrem Kopf ab. Es ist so schlimm mit Josis Angst, dass ihre Eltern abends nicht mehr ausgehen können. Kein Kino, kein Theater – stattdessen sitzen sie im Wohnzimmer und gähnen vor dem Fernseher. Eines Tages nun kaufen die Eltern ein Haus am Stadtrand. Im großen Garten kann Josi schön Gärtnerin spielen. Nach dem Abendessen bemerkt Josi, sie ist ein wenig unordentlich, dass sie alle ihre Gärtnersachen draußen liegengelassen hat. So muss sie, obwohl es schon anfängt dämmrig zu werden, noch einmal hinaus. Natürlich fängt Josis Phantasie wieder an bedrohliche Sachen und schlimme Bilder zu produzieren. Auf der Flucht vor einer Riesen-Gruselspinne kommt sie zu einem flachen Haus mit einem niedrigen Fenster. Im Zimmer steht ein Bett, darin liegt ein Mädchen. Auf der Suche nach Hilfe klopft unsere Josi an die Fensterscheibe und sieht, wie das Mädchen vor ihr wie vor einem Gespenst erschrickt. Josi sieht sich und ihre Angst wie in einem Spiegel. Sie weiß nun, dass die Dinge sich nur scheinbar verwandeln, in Wirklichkeit aber gleich bleiben. Josephine im Dunkeln thematisiert, von stimmigen Bildern begleitet, ein bei Kindern verbreitetes Gefühl. Kunert erzählt in einer poetischen, leichten Sprache, während die Illustratorin Jutta Mirtschin großflächig mit dem Gegensatz helldunkel arbeitet. Die Grundstimmung des Buches ist immer eine freundliche, warmherzige. Maria Hammerschmid Kinder- und Jugendliteratur genwärtiger, bis der dicke Bauch und der strenge Zeigefinger des Hexenmeisters für Ruhe und Ordnung sorgen. Sabine Wilharm ist eine großartige, ganz köstliche Umsetzung von Goethes Klassiker gelungen. So vergnüglich kann Lyrik sein! Ab 5 Jahren Veronika Freytag Schär, Brigitte / Ballhaus, Verena: Geschichten vom Roll und vom Ruh Zürich: Bajazzo Verlag 2006. 32 S., € 14,30 Mit ihren Geschichten vom Roll und vom Ruh legen Brigitte Schär und Verena Ballhaus ein ganz besonderes Bilderbuch vor. Leise und poetisch und sehr philosophisch kommen ihre ganz gewöhnlichen AlltagsGeschichten daher. Da gibt es zwei FreundInnen, Roll und Ruh, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Roll, das Kugelrunde, ist laut, agil und voller Tatendrang. Ruh, das Zarte, ist leiser, sanfter und zurückhaltender. Und gerade in ihrer Gegensätzlichkeit ergänzen sie einander zu einem Ganzen, das ohne das jeweils andere nicht auskommt. Mal backen sie Kuchen, mal kugeln sie ineinander verschlungen den Hügel hinunter, mal fürchten sie sich im Gewitter, dann wieder streiten sie und sind böse miteinander – immer aber gehören sie zueinander, wie zur Gewitternacht der strahlend klare Morgen gehört oder wie zum Streit die Versöhnung. Brigitte Schär gelingt es mit poetischer Klarheit, die philosophischen Momente im (Kinder-)Alltag darzustellen, die wir alle kennen, die wir aber nicht immer so besonnen, unaufgeregt und gleichzeitig anregend reflektieren können, wenn wir mittendrin stecken. Und Verena Ballhaus setzt die geschlechtslosen ProtagonistInnen höchst originell in abstrakte Figuren um, deren Empfindungen sich gekonnt in den expressionistischen Bildwelten widerspiegeln, die sie zu den jeweils nur wenige Sätze kurzen Geschichten entwickelt. Ein wunderschönes, besonderes Bilderbuch, das sich sehr zum gemeinschaftlichen Lesen eignet und das zum DarüberReden und -Philosophieren einlädt. Ab 5 Jahren Andrea Hirn Kinder- und Jugendliteratur Bilderbücher Schmid, Sophie: Feenzauber und Schweineglück München: Altberliner 2006, 14S., € 15,40 „Es war einmal eine gute Fee, die jahrein, jahraus den Kindern ihre Wünsche erfüllte“ – Ganz märchenhaft beginnt Feenzauber und Schweineglück, doch die gute Fee hat ihre Arbeit langsam satt. Es langweilt sie, immer nur die gleichen Wünsche zu erfüllen, also fasst sie den Entschluss, sich einen neuen Job zu suchen und geht aufs Arbeitsamt. Dort gibt es freie Stellen wie Schutzengel, Flaschengeist oder BöseOberhexe, und die gute Fee entscheidet sich für den Posten der verwunschenen Prinzessin, die auf den zu erlösenden Prinzen warten soll. Gleich an Ort und Stelle wird sie in ein Schwein verwandelt und muss nun auf einem Bauernhof auf den Prinzen warten. Das Leben am Hof stellt sich als gar nicht so unangenehm heraus, denn kann sie im Schlamm baden, faul in der Sonne herumliegen und sehr viel Zeit mit dem für ein Schwein sehr attraktiven Eber Toni verbringen. Eines Tages aber kommt Prinz Eugen der Tapfere herangeritten. Doch die tatsächlich verwunschene Prinzessin hält sich im Schlamm versteckt und pfeift auf den Prinzen, da sie ihre Liebe bereits gefunden hat. Und so lebte sie mit dem Eber Toni „glücklich bis ans Ende ihrer Tage“. Das Bilderbuch spielt mit klassischen Märchenrollen, doch die Illustrationen sind ganz und gar stereo-untypisch. Die gute Fee wirkt eher männlich, hat etwas dümmliche Gesichtszüge und kleine, knollenähnliche Flügel. Auch die anderen Figuren wirken fast wie Karikaturen. Witzig sind außerdem kleine Details, wie etwa die Zählkarten am Arbeitsamt. Sophie Schmid hat sowohl den Text als auch die Illustrationen dieses sehr humorvollen Bilderbuchs geschaffen. Ab 5 Jahren Barbara Eichinger Wittkamp, Frantz / Brosinski, Jenny: Gute Nacht – oder: Der lange Weg ins Bett Zürich: Atlantis 2006. 32 S., €13,90 „Wer zu Bett geht, der braucht Zeit, denn der Weg dahin ist weit / Wenn du Lust hast, wach zu bleiben, will ich dir den Weg beschreiben.“ Mit diesen Zeilen beginnt Frantz Wittkamps lyrische Reise ins Reich der Träume, die erstmals 1988 erschienen ist und bis heute nicht an Faszination verloren hat. Entlang von Häuserfronten, Parkanlagen, tiefen Tälern und hohen Brücken begeben sich die LeserInnen in eine wunderbar illlustrierte Traumlandschaft. 27 Beginnend beim Cover bis hin zur letzten Seite wird man in eine scheinbar schwerelose Welt gezogen, die sich in Form von feinen Strichen, verspielten Details und zart aquarellierten Farbflächen immer in Leserichtung fortsetzt. Genaue BeobachterInnen können dabei immer wieder neue Szenen und Geschichten erspähen, die zwischen feinem Humor und Poesie changieren. Sonderbare Tiere und schrullige Menschen reihen sich neben Märchenfiguren und Zirkuspersonal, überdimensionale Hunde oder Schiffe neben zierliche Häuser und Segelboote, eigenwillige Friedhöfe und in Bewegung scheinende Serpentinen neben riesige Blumen und einladende Planschbecken. Dabei scheint sich das Reimschema des Textes in der Dynamik der Bilder wiederzufinden, die sich mit schrägem Strich und einem steten Perspektiv- und Größenverhältniswechsel bemerkbar macht. Gute Nacht oder Der lange Weg ins Bett ist ein gelungenes Bilderbuch für Jung und Alt, das viel Raum zum Schauen, Staunen und Weitererzählen bietet. Mit seinen detailreichen, liebevoll gestalteten Illustrationen und den poetischen Textzeilen hebt sich dieses Bilderbuch in faszinierender Weise von anderen Produktionen ab. Ab 4 Jahren Martina Rényi Visconti, Guido / Vignoli, Daniella: Der Wolf an der Leine Aus dem Italienischen Steyr: Ennsthaler Verlag 2005. 28 S., € 13,60 Bauer Osvaldo hat die fettesten Schafe und die größten Kohlköpfe. Eines Tages will er das fetteste Schaf und den größten Kohlkopf zum Markt bringen. Aber da gibt es auch einen Wolf ... Osvaldo fängt den Wolf und nimmt ihn mit , damit dieser nicht die zurück bleibenden Schafe in seiner Abwesenheit fressen kann. Osvaldo kommt zu einem Fluss. Dort hat er ein kleines Boot. Damit kann er aber nicht alle auf einmal hinüber bringen. Osvaldo überlegt, wie er es anstellen kann, ohne dass das Schaf den Kohlkopf fressen kann, beziehungsweise der Wolf das Schaf. Nach einigem Nachdenken und einer Nacht voller wirrer Träume gelingt es ihm, das Problem zu lösen. Eine kleine Überraschung in Form einer Raupe erwartet ihn dann doch noch. Das liebevoll illustrierte Buch ist ein gutes Vorlesebuch für Klein- beziehungsweise Kindergartenkinder, bei dem die VorleserInnen die erzählte Geschichte selber weiterspinnen können. Die stilisierten Landschaften regen die Vorstellung der BetrachterInnen an. Sie haben nichts bedrohliches, da die Bilder bunt, sehr vergnüglich, und mit weichen und freundlichen Farben gemalt sind. Immer wieder wählt Daniella Vignoli andere Perspektive, und baut spannende Perspektive auf und witzige Details ein. Und die Moral: Lass den Kopf nicht hängen, wenn du ein Problem hast, sondern denk darüber nach, da es immer eine Lösung gibt – oder: auch dem größten Schlaukopf kann manchmal ein ganz kleines Detail entgehen. Ab 5 Jahren Thomas Jürgens 28 Kinder- und Jugendbuch Kinderbücher Creech, Sharon: Glück mit Soße Ill. v. Rotraud Susanne Berner Aus dem Amerikanischen Frankfurt/Main: Fischer Schatzinsel 2006. 141 S., € 12,30 Die 12-jährige Rosie und der Nachbarjunge Bailey sind seit jeher miteinander befreundet und nahezu unzertrennlich. Doch wie in jeder Freundschaft gibt es manchmal kleine Probleme, die aus Rosies Sicht hier in zwei kurzen Episoden erzählt werden. In der ersten Geschichte, genannt „Suppe“, ist Rosie sauer, weil sie mühsam die Blindenschrift gelernt hat, um den blinde Bailey zu überraschen. Dieser reagiert darauf jedoch sehr verstört und wütend. Aber Rosie hat ja Granny Torelli, ihre italienischstämmige Großmutter, die nicht nur gut und leidenschaftlich kochen, sondern kann auch sehr gut zuhören kann. Sie spürt, dass ihre Enkelin Probleme hat, teilt ihr kleine Arbeiten beim Zuppa-Kochen zu und erzählt so ganz nebenbei von ihrer Jugend und ihren Problemen mit ihrem damaligen besten Freund, sodass Rosie nach und nach schließlich den Grund für Baileys seltsames Verhalten versteht. Die zweite Geschichte „Pasta-Party“ funktioniert nach demselben Prinzip. Rosie, Granny Torelli und diesmal auch Bailey kochen gemeinsam und so ganz nebenher wird die Welt wieder in Ordnung gebracht. Die beiden Geschichten sind flott und dialogreich gestaltet. Immer wieder sind auch italiensche Wörter eingestreut, die das Ganze sehr lebendig machen. Den Rahmen der einzelnen Kapitel bilden freundlich wirkende Illustrationen, die das Buch optisch aufpeppen und Kochrezepte, die wirken, als wären sie aus Granny Torellis persönlichem Kochbuch. Ab 10 Jahren Barbara Eichinger Gray, Margaret: Prinzessin Rose und der kluge Narr München: dtvjunior 2006. 216 S., € 7,20 Prinzessin Rose ist die dritte Tochter des Königspaares von Kuskus. Rose hat Hasenzähne und kurze Haare, aber dafür ist sie ein ausgesprochen nettes und kluges Mädchen. Als Rose 16 ist kommt der arrogante Prinz Petersilie auf Brautschau ins Königreich. Natürlich interessiert er sich nur für schöne Prinzessinnen, und Rose wünscht sich nichts mehr als die allerschönste zu sein. Ihre Patenfee erfüllt ihr diesen Wunsch und alles läuft nach Plan, doch auf dem Ball erkennt Rose, dass der Prinz furchtbar langweilig ist, und schön zu sein viel Arbeit bedeutet. Sie will wieder so aussehen wie vor ihrer Verwandlung, aber da man Wünsche nicht einfach so zurück nehmen kann muss sie noch eine Prüfung bestehen ... Die Autorin spielt auf unterhaltsame Weise mit den gängigen Klischees die normalerweise in Märchen vorkommen, und zeigt den LeserInnen, dass schön sein allein nicht glücklich macht. Nicht nur unterhaltsam für Kinder! Ab 9 Jahren Doris Wanner Henke, Carola / Hein, Sybille: Ich bin eins und du bist zwei. Fröhliche Zahlengeschichten und Gedichte Freiburg: Kerle/Herder 2006. 80 S., € 14,30 Zahlen können faszinieren – und das nicht nur in dem oft respektvoll anmutenden Bereich der Mathematik. Also stellte Carola Henke Texte und Gedichte rund ums Zählen von namhaften AutorInnen wie Leo Tolstoi, Rotraut Susanne Berner, Peter Härtling, Shel Silverstein, Cornelia Funke und vielen mehr zusammen. Heraus kam ein ansprechendes, abwechslungsreiches und ideenreiches (Vor-)Lesebuch, das die LeserInnen in fremde Welten, skurrile Situationen, alltägliche Geschichten und nonsensgereimte Verszeilen entführt. So lernt man bei der Lektüre dieses feinen Bandes unter anderem wie profitabel das Teilen von Gänsen sein kann, welch einfallsreiche Schimpfwörter Hasenväter beim misslungenen Zählversuch der Kinderschar entweichen, oder wie gefährlich manch grüner Hering lebt. Begleitet werden die Texte von farbenfrohen Bildern der im Jahr 2005 mit dem österreichischen Kinder- und Jugendliteraturpreis ausgezeichneten Illustratorin Sybille Hein. Mit seinen kurzen, in sich abgeschlossenen Geschichten, den humorvollen Gedichten und kurzen Rätseln sowie der mit schwungvollem Strich ge- zeichneten Illustrationen spricht das Buch Eltern wie Kinder an und macht auf diese Weise ein erstes Kennen lernen namhafter Kinder- und JugendautorInnen auf einfache Weise möglich. Die einzelnen Beiträge fordern zum Mitmachen auf und eignen sich ebenso als Gutenachtgeschichten, wie auch für PädagogInnen zum Einstieg für themenbezogene Schwerpunkte. Eine humorvolle Sammlung zum Blättern, Vor-, Selber- und Immerwiederlesen. Ab 5 Jahren Martina Rényi Hoffman, Marjon: Die Boskampi Ill. v. von Barbara Scholz Hamburg: Carlsen 2006, 206., € 12,40 Rik Boskamp ist ein 9-jähriger Junge, der als Halbwaise nur mit seinem ziemlich vergesslichen und etwas schusseligen Vater aufwächst. Der kleine Rik hat es satt, dass nicht nur er von den Schulfreunden gehänselt wird, sondern vor allem sein Vater! Illegal sieht er im Fernsehen einen Mafiafilm, den er auch für Studienzwecke noch heimlich auf Video aufnimmt. Er ist begeistert: Alle haben großen Respekt und die Mafiakinder bekommen zu jedem Geburtstag mindestens 100 Geschenke. Als Riks Vater kurze Zeit später von seiner Bank befördert wird, beschließt Rik, inspiriert von dem Mafia-Film, die einzigartige Gelegenheit zu nutzen und alles anders zu machen ... Doch auch das Leben als Mafiakind hat seine Tücken. Rik verstrickt sich immer mehr in seine Mafia-Räubers-Geschichten. Da hilft nur Gottes Fügung. Es gibt in der Stadt ein italienisches Lebensmittelgeschäft, geführt von der wunderschönen Gina. Sie ist die Retterin für Rik und stellt seinen Vater auf erfolgreiche Freiersfüße. So endet die Geschichte nicht nur gut, sondern auch tatsächlich italienisch – einzig nicht mafiös. Die zarten Schwarzweiß-Zeichnungen von Barbara Scholz sind pointiert und witzig wie die mit viel Situationskomik, Verwicklungen und skurrilen Situationen gespikte Erzählung. Rik gewinnt nicht so sehr durch Lügen, Angeberei und Erpressung, als vielmehr durch Mut und intelligentes Nutzen der Schwächen der Erwachsenen. Ab 9 Jahren Werner Kantner Kinder- und Jugendliteratur Kinderbücher Koch, Karin: Emil wird sieben Ill. v. André Rösler Wuppertal: Hammer 2005. 47 S., € 9,20 Sieben ist ein magisches Alter und nicht wenige Kinderbücher tragen diese Zahl im Titel. Auch in Emil wird sieben ist der Titel gut gewählt, obwohl er auf den ersten Blick irreführend erscheint: Emils Mutter ist geschieden und seit Jahren lebt sie mit Emil allein zusammen. Emil würde sich noch einen Bruder wünschen, aber daraus wird wohl nichts, weil Mama keinen neuen Freund finden kann. Doch eines Morgens liegt ein fremder Mann neben Mama im Bett. Das ist Emil auch wieder nicht so ganz recht. Als der neue Freund namens Robert dann noch langweilige Geschenke macht und zum Abendessen Brokkoli mag, ist er bei Emil völlig unten durch. Zu allem Überfluss lernt Emils Vater eine neue Freundin kennen. Doch die hat immerhin einen Garten und eine siebenjährige Tochter! Nach einigen Konflikten gelingt es auch Robert, sich mit Emil anzufreunden. So endet das Buch versöhnlich an Emils siebtem Geburtstag, zu dem sich alle zusammen im Garten von Papas Freundin einfinden. Das mit dem Garten war übrigens Emils Idee. Und er wird noch viele gute Ideen haben, jetzt wo er sieben ist ... Eine Geschichte also über ein zeitgemäßes Thema, über die Entstehung und Anfangsphase einer Patchworkfamilie. Der Witz an dem Buch ist, dass die Geschichte ohne Erzählerkommentar, also konsequent aus Emils Perspektive erzählt wird. Dadurch ergeben sich eine Menge komischer Effekte. Geschickt setzt die Autorin Dialoge ein, sodass auch Sichtweisen der Eltern zum Ausdruck kommen, die Emil vielleicht noch nicht nachvollziehen könnte. Das Buch ist in jedem Detail stimmig und mit großem psychologischen Einfühlungsvermögen geschrieben. Nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene werden sich in diesen Figuren teilweise wieder finden können. Und für manche wird es aufschlussreich sein zu sehen, wie Emil die neuen Partner seiner Eltern gleich viel eher toleriert, wenn er selbst mit gleichaltrigen FreundInnen zusammen sein kann. Die Zielgruppe des Buches sind Kinder ungefähr in Emils Alter. Es ist zum Vorlesen ebenso wie zum Selbstlesen geeignet. Ab 6 Jahren Wolfgang Chesnais Schubiger, Jürg / Hohler, Franz: Aller Anfang Ill. v. Jutta Bauer Weinheim/Basel: Beltz & Gelberg 2006. 125 S., € 17,40 Die große Frage um die Entstehung der Welt bildet den Ausgangspunkt dieses kleinen aber feinen Ausnahmebändchens, das 34 fantasievolle Hin- und Hergeschichten über die Schöpfung der preisgekrönten Schweizer Autoren Jürg Schubiger und Franz Hohler in sich vereint. Da tummeln sich Kältehummeln und bananenfressende Löwen, bezaubernde spanische Nüsschen und gelangweilte Zwetschkenkerne, emanzipierte Göttinnen und medienpräsente Engel. Wir erfahren, was Gott mit einer Kiste Erbsen zu tun hat, wieso den Menschen früher eine Blumenwiese auf dem Kopf spross oder wie unser Planet die Nasen verlor. Aber auch dem Verschwinden der ersten Sprache, den wirklich wahren Begebenheiten im Paradies und der Identität des Teufels werden auf un- 29 terhaltsame, teils sarkastische, teils kritische und ernste Weise Rechnung getragen. Voller Einfallsreichtum, Poesie und skurrilem Charme überbieten sich Schubiger und Hohler mit Anti-Mythen, Querverweisen und einprägsamen Bildern, die von Jutta Bauer in Form von zahlreichen Collagen und Zeichnungen kongenial mit- und weitergesponnen werden. Aller Anfang vereint neue sowie bereits publizierte Texte zum Staunen, Schmunzeln, Nachdenken und Weiterfabulieren – für alle Menschen mit Sinn für Humor und Lust an den vielfältigen Möglichkeiten von Sprache und Illustration. Wer also immer schon wissen wollte welche Risiken und Nebenwirkungen der selbstgebackene Traummann in sich bergen kann, wer im Paradies wirklich die Hosen anhatte oder wie es sich anhört, wenn Gott flucht, nehme dieses Bändchen zur Hand und lasse sich in eine der bemerkenswertesten Neuerscheinungen dieses Herbstes fallen. Ab 10 Jahren Martina Rényi Kühl, Katharina: Der Prinz von Pumpelonien. Ein Märchen zum Vorlesen Ill. v. Ute Krause Hamburg: Ellermann 2006. 125 S., € 13,30 Prinz Pumpel, der zukünftige 16te König des Königreichs Pumpelonien soll die Prinzessin Pimpinella aus dem Nachbarkönigreich Pipinien heiraten. Doch dem Prinzen sind königliche Marotten und Verpflichtungen piepegal, er hält nichts vom Regieren, ihm macht es mehr Spaß, die königlichen Ställe auszumisten. Außerdem ist er heimlich in Mariechen, die königliche Gärtnerin, verliebt. Doch König und Königin wollen durch die Heirat mit der Prinzessin aus Pipinien die ärmliche Staatskasse des Königreichs auffüllen. Während noch darüber diskutiert wird, erwacht der pumpelonische Drache Fidibus aus seinem Schlaf und entführt die Prinzessin Pimpinella. Doch Fidibus ist nicht der alles verschlingende böse feuerspeiende Drache, für den ihn alle halten. Er träumt eigentlich nur von Gurkenmus und Himbeereiscremtorten. Fidibus schleppt die Prinzessin in seine Höhle, doch das bereut er schnell, denn die verlangt von ihm Sauberkeit und zwingt ihn zur Hausarbeit und gesittetem Verhalten. Während Fidibus in den Wald trottet, macht sich Pumpel auf den Weg, um nach Prinzenart die Prinzessin zu retten ... Kann er trotzdem Mariechen heiraten, obwohl sie keine Prinzessin ist? Werden die Eltern einsehen, dass ihre Kinder nicht füreinander bestimmt sind? Bekommt Fidibus endlich seine Himbeereiscremetorte und wird ihn je eine Prinzessin küssen und erlösen? Fragen über Fragen. Doch je mehr man liest, umso mehr Antworten kriegt man. Ein liebenswertes Märchen mit viel Humor und deftiger Sprache und jeder Menge witziger Illustrationen. Hilde Steiner 30 Bilderbücher Ludwig, Sabine: Hilfe, ich hab meine Lehrerin geschrumpft Ill. v. Isabel Kreitz Hamburg: Dressler 2006. 240 S., € 12,40 Die Assoziation des Buchtitels zum lustigen Unterhaltungsfilm ist eindeutig: „Hilfe, ich habe meine Kinder geschrumpft“ In diesem Fall ist es eine Lehrerin, die, geschrumpft vor einem Lineal, einem Schulheft und einem Bleistift, bereits auf dem Cover vorgestellt wird. Auch im derart verkleinerten Format ist sie das Abbild der autoritären, lautstarken Lehrerinnenautoritätspersonen, gekrönt von harten, schwarzen Brillenfassungen. Doch das Buch hebt sich von die- sem ersten Eindruck ab – wie angenehm, wie ungewöhnlich, wie großartig! Wer wird dem 12jährigen Felix glauben, dass er die von allen gehasste Mathematiklehrerin auf die Größe von 15,3 Zentimetern geschrumpft hat? Er weiß ja selbst nicht, wie das passiert ist! Aber das Problem steckt nun in seiner Jackentasche. Und da schimpft sie noch immer lauthals, die Mathematiklehrerin, obwohl sie ja leiser, weil kleiner geworden ist. Wie kann Felix sie nur wieder groß bekommen? Auf der Suche nach der Ursache der Verwandlung wird Felix immer mutiger und lässt sich zunehmend weniger herumkommandieren. Vor allem aber stößt er auf eine un- Kinder- und Jugendliteratur glaubliche Geschichte, die vor 100 Jahren geschehen sein soll: eine Katze, die eine wichtige Rolle spielt, einen uralten Brief, der von großer Bedeutung ist ... Dieses Buch ist voller Spannung und Situationskomik in ungewohnter Dimension – packend geschrieben, nicht, wie vom Cover irrtümlich interpretiert, konventionell eine Geschichte abspulend. Möge die Autorin weiterhin viel schreiben. Denken Sie sich selbst positive und erhoffte Attribute für ein spannendes Kinderbuch aus, haken Sie alle ab – und Sie kommen diesem Buch sehr nahe! Ab 10 Jahren Werner Kantner Sachbuch Couprie, Katy / Louchard, Antonin: Die ganze Kunst Hildesheim: Gerstenberg 2006, 256 S., € 16,40 Sie kennen wahrscheinlich die beiden SchöpferInnen des kleinen, kompakten Bandes Die ganze Welt. Wenn ja, dann können Sie mit Bewunderung die Steigerung bei gleichem Format und, auf den ersten Blick, ähnlichem Aufbau bestaunen. Diesmal haben die französischen KünstlerInnen Katy Couprie und Antonin Louchard mit einer Sondergenehmigung viele Nächte lang im Louvre, der größten Gemäldesammlung der Welt, fotografiert, arrangiert, nachgemalt und einfach gespielt. Der Nike von Samothrake haben sie einen Vogelkopf aufgesetzt, der ertrinkenden Märtyrerin eine Anleitung zum Rettungsschwimmen beiseite gestellt, das Floß der Medusa mit Playmobil-Männchen nachgebaut und neben einem ägyptischen Mumienporträt eine Barbie-Puppe als Mumie eingewickelt. Schließlich steht Antonin, gekonnt verkleidet, sogar als Mona Lisa Modell. Ähnlich einer fantastisch verfremdeten Rückblende zeigt Die ganze Kunst, wie ein Kindertraum nach einem Museumsbesuch aussehen könnte. Das Konzept ist so einfach wie bestechend: eine assoziative Aneinanderkettung von Bildern, ganz ohne Text. Menschen sollen ein Leben lang lernen. Und Menschen lernen besonders lustvoll, wenn sie spielen. In diesem Buch wird mit Kunst auf eine himmlische Art und Weise gespielt. Und es bietet die Chance, die großen Werke der Vergangenheit ohne Ehrfurcht kennen zu lernen. Hier gibt es für alle etwas zu entdecken. Denn die völlig unterschiedlichen Assoziationsstränge sind für jede Alters- und Wissenslage ergiebig und überraschend wie ein pralles Füllhorn. Die unglaublich heitere Grundstimmung macht dieses Buch leicht zugänglich, ohne dabei die Kunstwerke ins Alberne, Oberflächliche oder krankhaft Niedliche zu ziehen. Kunst wird hier ganz nebenbei aufgenommen, selbstverständlich, als Hintergrund oder Projektionsfläche, vielleicht als neue Realität. Die ganze Kunst ist ein Meditations- und Assoziationsfeuerwerkbuch und zugleich die beste Einführung in große Kunst (nicht nur) für Kinder. Ein Heidenspaß mit großem Erkenntnisgewinn. Ab 4 Jahren Werner Kantner Malherbe, Michel / Chabert d'Hières, Anne: Religionen Aus der Reihe „Entdeckungsreise mit Fleurus“ Köln: Fleurus. 2006. 368 S., € 20,50 Bücher über Religionen für Jugendliche gibt es nicht so zahlreich. Umso erfreulicher ist das vorliegende Buch. Die AutorInnen beschreiben darin nicht nur die Hauptreligionen, sondern auch viele andere religiöse Ausrichtungen. Dabei beleuchten sie verschiedene Aspekte von Religion, beschreiben deren Einfluss auf Kulturen und bieten einen Blick auch von der Seite der Ungläubigen. Zunächst wird der Frage nachgegangen, warum es überhaupt Religionen gibt. Dann begeben sich die AutorInnen auf die Spuren alter Religionen aus der Vorgeschichte und der Antike. Ein großes Kapitel wird dann den großen Weltreligionen gewidmet. Daneben werden kleinere Religionen vorgestellt und das Leben der Mystiker und Weisen auch aus der heutigen Zeit erörtert. Schließlich werden noch universelle Fragen aufgeworfen und auch die Schattenseiten von Religion thematisiert. Die farbigen Abbildungen und Fotografien lockern die Informationen auf und laden zum Blättern ein. Alles in allem ein packendes und perfekt für die Zielgruppe der Jugendlichen ausgerichtetes Buch in ansprechender Aufmachung. Ab 13 Jahren Kebza Jacqueline Kinder- und Jugendliteratur Sachbuch Schmid, Ulrich: Wo Tiere und Pflanzen leben. Unsere Lebensräume entdecken 31 Wolff, Uwe/Hohmuth, Jürgen: Alles über Labyrinthe und Irrgärten. Unterwegs mit Zeppelin und Kamera Stuttgart u.a.: Gabriel 2006. 96 S., € 20,50 Ill. v. Berthold Faust Stuttgart: Kosmos 2006. 48 S., € 10,30 Sachbilderbücher zum Thema Natur und Lebensräume gibt es viele. Dieses hier besticht allein durch seine Aufmachung: großformatig, edles Glanzpapier, detailgenaue und farbenprächtige Illustration, übersichtliche, gut portionierte und informative Textinformation in harmonischer Gestaltung. Eine textlose Panoramaseite lädt zum Betrachten und Träumen ein. Die folgenden beiden Doppelseiten beschäftigen sich mit dem Lebensraum im Allgemeinen und den jeweiligen Bewohnern im Besonderen. Jedem Lebensraum wurde eine eigene Überschriftenfarbe und ein Symbol in Form eines Tieres zugewiesen. Mit gleicher Farbe sind auch interessante Fragen und deren sofortige kurze Beantwortung unterlegt. Diese Aufteilung wird das ganze Buch über durchgehalten und erweist sich als gute Orientierungshilfe. Den Abschluss bildet eine alphabetische Artenliste nach Kapiteln. Der Text dieses Sachbilderbuchs ist übersichtlich und transportiert die Information sowohl in Wortwahl als auch in Länge in altergerechter Form. Der lesefreundliche große Druck erleichtert die Informationsaufnahme ebenfalls. Ab 9 Jahren Elisabeth Schögler Dickins, Rosie: Kunst. Ein Entdeckerbuch für Kinder Ill. v. Uwe Mayer Labyrinthe gehören zu den uralten Zeugen der Menschheitsgeschichte. Man findet sie überall auf der Welt, sie sind ein uraltes Symbol für Werden und Vergehen. Dennoch liegt ihre volle Bedeutung vielfach im Dunkeln. Irrgärten erfreuen sich wachsender Beliebtheit und sind bereits Teil der Unterhaltungsindustrie geworden. Der Fotograf Jürgen Hohmuth hat bereits zahlreiche Bücher über Irrgärten für Erwachsene veröffentlicht. Die vorliegende Kinderversion steht diesen Büchern um nichts nach, was Fotomaterial und Ausstattung betrifft. Kulturgeschichtliche Zusamenhänge werden indes für Kinder nachvollziehbar erklärt. Durch die Unterteilung in übersichtliche Kapitel und die faszinierenden Fotos bereitet er das Thema kurzweilig und seriös auf. Interessant sind schließlich auch die zwei Kapitel, in denen Hohmuth, der für dieses Buch die ganze Welt bereist und Material gesammelt hat, seine Arbeitsweise erklärt. Ab 12 Jahren Viktoria Zwicker verändert haben. In weiterer Folge werden die wesentlichen Arten der Produktion erklärt und einzelne Künstler vorgestellt – knapp und spannend formuliert, informativ und auf die interessanten Details konzentriert. Die lockere Gestaltung und humorvolle kleine Illustrationen sorgen für Schwung Jugendbuch Hardinge, Frances: Die Herrin der Worte Aus dem Englischen München: cbj 2006. 478 S., € 16,95 Würzburg: Arena 2006. 64 S., € 13,40 Bereits im Einleitungskapitel beschreibt Rosie Dickins knapp, klar und unaufgeregt, worum es geht: knappe Erklärung über den Begriff Kunst; kurzer Abriss darüber, warum Menschen KünstlerInnen werden; Anreißen der die Kunst begleitenden, gesellschaftlichen Auseinandersetzungen. Erstmals taucht das kleine Kunst-Quiz auf: Eine Frage mit drei möglichen Antworten. Alle Lösungen stehen, ausführlich erörtert, am Ende des Buches. 30 berühmte Bilder aus 500 Jahren Kunstgeschichte zeigen beispielhaft, was Kunst alles sein kann oder wie sich die Vorstellungen von Kunst im Laufe der Zeit und Abwechslung. Ein tolles Buch, das auf allen Ebenen Freude an Wissensvermehrung über Kunst bietet und in seiner umfassenden Konzeption und lustvollen Machart niemanden an Pädagogik denken lässt. Ab 11 Jahren Werner Kantner Mit ihrem Debüt ist der Engländerin Frances Hardinge gleich ein großer Wurf gelungen. Der an originellen Ideen und fantastischen Details reiche Fantasyroman spielt, dem Genre gemäß, in einem fiktiven Land zu einer fiktiven Zeit, nimmt aber geschickte Anleihen in der europäischen Geschichte des Mittelalters bis zum 18. Jahrhundert. Mosca, 12-jährige Heldin des Romans, lebt in einer in zahlreiche Zwergstaaten zersplitterten Welt, in der Bücher nur nach strengster Zensur geschrieben, verbreitet und (nur von Männer!) gelesen werden dürfen. Mosca jedoch beherrscht die Kunst des Lesens und Schreibens, weil ihr Vater es sie gelehrt hat. Mit 12 Jahren verwaist, flieht sie aus ihrem engstirnigen, reaktionären Heimatdorf. Auf ihrer Reise schließt sie ein Zweckbündnis mit dem Gauner und Wortkünstler Clent, der sie aber am liebsten los haben möchte. Wie sie ihre abenteuerliche Reise mitten hinein in eine riesige Verschwörung der Mächtigen führt, ist absolut lesenswert ... Trotz des historischen Kolorits ist Hardinges Stil erfrischend, angemessen modern, leicht lesbar und dennoch sprachlich anspruchsvoll. Zwischen den Zeilen blitzt immer wieder britischer Humor durch sowie Geschichts- und Gesellschaftskritik. Ihre Figuren sind von den Haupt- bis zu den kleinsten Nebenfiguren perfekt durchkomponiert, stimmig und authentisch. Ein absolutes Muss für Fans des Fantasy- und Historien-Romans! Ab 12 Jahren Andrea Hirn 32 Horowitz, Anthony: Todeskreis Aus dem Englischen Bindlach: Loewe 2006. 286 S., € 17,40 Hauptperson dieses ersten Romans einer fünfbändigen Reihe ist Matt, ein vierzehnjähriger Waise, der bei seiner Tante lebt und durch äußerst unglückliche Umstände auf die schiefe Bahn kommt. Im Rahmen von Resozialisierungsmaßnahmen wird er zu einer Pflegemutter geschickt. Doch in dem einsamen Dorf, das von äußerst seltsamen Gestalten bewohnt wird, ereignen sich bald seltsame Dinge. Matt möchte abhauen, doch so sehr er sich auch anstrengt, es gelingt ihm nicht. Die Straßen führen ihn im Kreis, der Wald ist ein undurchdringliches Dickicht und Menschen die dem Jungen helfen wollen, sterben auf mysteriöse Art. Doch schließlich lernt Matt einen jungen Reporter kennen, der zwar zuerst nur eine interessante Story wittert, ihm dann aber zur Flucht verhelfen kann. Doch schon bald befinden sich die beiden in höchster Todesgefahr ... Schon auf den ersten Seiten zieht einen dieser Roman in seinen Bann. Die Geschichte ist spannend und flüssig zu lesen. Todeskreis in ein Gänsehaut erregender Fantasy-Thriller, der einen gespannt auf die vier Folgebände dieser Reihe warten lässt. Elisabeth Ghanim Skelton, Matthew: Endymion Spring. Die Macht des geheimen Buches Aus dem Englischen München: Hanser 2006. 430 S., € 17,90 In Skeltons Debütroman geht es um ein geheimnisvolles Buch, das seinen Weg aus Gutenbergs Buchdruckerwerkstatt in die Labyrinthe der Bibliotheken von Oxford gefunden hat. Auf der Flucht vor dem gerissenen Johannes Fust, dem Vorbild der Faust-Legende, hat es der stumme Druckerlehrling Endymion Spring in den Regalen der altehrwürdigen Gemäuer versteckt, wo es 500 Jahre später der zwölfjährige amerikanische Junge Blake entdeckt – besser gesagt, das Buch ihn entdeckt. Auf den zunächst scheinbar leeren Seiten bilden sich Wörter, die nur er sehen kann. Während Blakes Mutter an einer Arbeit über die Faust-Legende arbeitet folgen Blake und seine Schwester dem Weg, den ihnen das geheimnisvolle Buch zeigt, und Jugendbuch versuchen, es vor dem „bösen Schatten“ zu retten, der ebenfalls dahinter her ist, ohne zu wissen, wer ihr geheimnisvoller Gegner ist. In eleganter, anschaulicher Prosa verknüpft der Autor die Geschehnisse im Oxford der Jetzt-Zeit und dem Mainz des 14. Jahrhunderts. Die wenigen zarten Illustrationen sind an die Buchmalerei angelehnt und das angenehme Schriftbild lädt sofort zum Schmökern ein. Dieser historisch-magische Thriller ist in einer Startauflage von 50000 erschienen und Warner hat sich bereits die Filmrechte gesichert. Birgit Sajn Spindler, Christine: Love Takes a Detour. Liebe auf Umwegen Aus der Reihe „girls in love“ Berlin: Langenscheidt 2006. 159 S., € 8,20 Die vierzehnjährige Nike ist das einzige weibliche Wesen unter fünf Männern: Kinder- und Jugendliteratur Vater, Opa und drei Brüder machen ihr das Leben schwer. Das ist auch der Grund, weswegen sie sich beharrlich gegen die Liebe wehrt, obwohl ihr alle ihre Freundinnen in höchsten Tönen von Herzklopfen und Verliebtheit vorschwärmen. Sie widmet sich lieber dem Chatten mit ihrer Freundin Cathy in London, ein Umstand, der dieses Buch zu etwas Besonderem macht: Ganz selbstverständlich wird der Dialog nun in englischer Sprache geführt, wechselt die Autorin übergangslos von einer Sprache in die andere (für schwierigere Wörter und typische englische Redewendungen gibt es Vokabelübersetzungen und Erklärungen). Langenscheidts neue Fremdsprachenlektüre erscheint in der Reihe „girls in love“ und verbindet mühelos originelles, alltagsbezogenes Englischlernen mit einer netten Liebesgeschichte, wobei gewisse EnglischGrundkenntnisse nicht hinderlich sind. Ab 12 Jahren Gabriele Saul Wildner, Martina: Michelles Fehler Berlin: Bloomsbury 2006. 281 S., € 13,40 Als Michelle am 15. März aufwacht, hat sie ein komisches Gefühl. Sie hat verschlafen – und ab diesem Zeitpunkt läuft alles schief. Als ob Michelle nicht schon Pech genug hätte: Sie ist klein und gilt als Streberin, wird in der Schule schikaniert, und von den getrennt lebenden Eltern ist ebenfalls keine Hilfe zu erwarten. Doch am 15. März ist alles noch viel schlimmer: Genau 85 Fehler macht sie zwischen 7:23 Uhr und 15:57 Uhr. Sie werden im Buch allesamt durch Zwischenüberschriften und die genaue Uhrzeit nummeriert aufgezählt. Diesen Zahlenfimmel teilt die Autorin mit der Protagonistin. Was Michelle nicht weiß: dahinter steckt ihr persönlicher Schutzengel-Sachbearbeiter vom Fehlerberechnungsamt. Dieses obskure Amt wacht über die Geschicke der Menschen. Und Hr. Schmidt, Michelles Sachbearbeiter, hasst pubertierende Jugendliche im Allgemeinen und Michelle im Besonderen. Daher kommentiert er ihr Unglück mit schadenfrohem Gelächter, statt ihr zu helfen. Die LeserInnen bangen und „laufen“ mit Michelle gegen Pech, Missverständnisse, Verleumdungen und Einsamkeit. Doch Schmidts Manipulationen sind erfreulicherweise nicht in allen Bereichen erfolgreich ... Zentrale Themen des Buches sind die Frage, inwiefern der Mensch sein Leben selbst beeinflussen kann oder umgekehrt vom Zufall abhängt und der Gedanke, dass wer Entscheidungen trifft, Fehler machen kann. Michelle ist am Schluss ein Stück gewachsen. Nur einen Tag im Leben dieses zähen, selbstkritischen und ein bisschen verrückten Mädels umfasst dieser Roman, minutiös aufgezeichnet und sehr gelungen sowohl aus Michelles als auch aus Schmidts Sicht erzählt. Ein starkes Mädchen mit einer realistischen Geschichte – spannend und empfindsam präsentiert. Ab 13 Jahren Beate Wegerer