Fallbeispiele von Roland Spiegel
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Fallbeispiele von Roland Spiegel
Genetische Untersuchung und Leistungsprüfung Problemsituationen aus dem gyno-genetischen Alltag Roland Spiegel Humangenetisches Labor und Beratungsstelle Genetica Zürich Fortbildung SVV, Olten 20.11.2014 Vorbemerkung/Inhalt Genetiker ist auch Präventivmediziner; Blick über Generationen Genetische Diagnostik ist „einmalig“ und nicht billig Genetik in psychologisch schwierigen Lebenssituationen Unerfüllter Kinderwunsch; Infertilität Risikoschwangerschaft Krebsrisiko; diagnostischer resp. prädiktiver Gentest Indikationen zur Kostenübernahme („WZW“) Analysenliste 1.1.2013: Pflichtleistung nach Artikel 25 Absatz 1 KVG: Für Diagnose oder Behandlung einer Krankheit und ihrer Folgen dienende Diagnostik mit akzeptabler Wahrscheinlichkeit einer der folgenden Konsequenzen: einen Entscheid über Notwendigkeit und Art einer medizinischen Behandlung eine richtungsgebende Änderung der bisher angewendeten medizinischen Behandlung eine richtungsgebende Änderung der notwendigen Untersuchungen (z.B. zur rechtzeitigen Verhütung, Erkennung oder Behandlung von typischerweise zu erwartenden Komplikationen) einen Verzicht auf weitere Untersuchungen von typischerweise zu erwartenden Krankheitssymptomen, Folgeerkrankungen oder Beschwerden Präsymptomatische oder prädiktive Untersuchungen bei Gesunden (Krebsrisikoperson) zur Erkennung einer Krankheitsveranlagung gelten nur dann als Pflichtleistung, wenn die betreffende Untersuchung als solche in der Analysenliste enthalten und auch als Massnahme der Prävention in Artikel 12 d Buchstabe f KLV aufgeführt ist. Bei Pränataldignostik KLV Art 13d Alter ≥35 oder Risiko≥ 1/380 Untersuchungen zur Erkennung einer Anlageträgerschaft bei Gesunden im Hinblick auf die Vererbungsmöglichkeit einer Krankheit auf die Nachkommen stellen keine als Pflichtleistung zu vergütenden Analysen dar. Fazit: Viele genetische Situationen sind formal versicherungsrechtlich NICHT kassenpflichtig! Unerfüllter Kinderwunsch; Infertilität Sinn von genetischen Abortuntersuchungen, die formal eigentlich keine obligatorische Kassenleistung sind Sinn von Abklärungen beim „gesunden Mann“ (hat Sub- oder Infertilität: „Krankheitswert“?) Sinn von Abklärungen bei „gesunder Frau“ mit Zyklusanomalien, frühzeitiger Ovarialinsuffizienz“ Fallbeispiel 42-jährige G6P1. Seit 12 Jahren unerfüllter Kinderwunsch. Wegen Ovarialinsuffizienz (genetisch nicht abgeklärt) ab 2003 nach reproduktionsmedizinischer Odyssee in CH u.a. (Inseminationen, IVF/ICSI) Entschluss zur Eizellspende in Spanien. IVF/ICSI mit Spermien Partner (mildes OAT-Syndrom). Keine genetische Beratung oder Abklärungen auch aus Kostengründen (Selbstzahler) Dreimalige IFV-Zyklen mit 3 verschiedenen Eizellspenderinnen: 6 intrauterine SS, (5 Frühaborte, 1x Frühgeburt mit postpartalem Tod 21. SSW). Erhebliche KVG-Kosten; Currettagen.....!!!!! Missed Abortion (nach IVF) vom 1.2.2012: Zytogenetik nicht möglich (degradiertes Material). In molekulargenetischer Abortuntersuchung (ausdrücklicher Wunsch Patientin!) V.a. eine Dosisanomalie von Chromosom 13. Genetische Beratung und Karyotypisierung Partner: Balanzierte Translokation 46,XY,t(3;13)(p25;q22). Erklärung für Problem nach Jahren! Unnötige Behandlungen! Männliche Infertilität 15% der Paare mit unerfüllter Kinderwunsch rund 15% der Fälle genetische Faktoren beim Mann für die Infertilität verantwortlich ICSI-Patienten 25% der Azoospermie- resp. schweren Oligospermie-Fälle bedingt durch Chromosomenstörungen, YMikrodeletionen, CFTR-Mutationen (Hum Reprod 2004;19:472ff) Mann: Klare genetische Faktoren 1 Chromosomenanomalien (ca. 7% der infertilen mit nicht-obstruktiver Azoospermie/Oligospermie) numerische: Klinefelter-Syndrom (47,XXY; 46,XY/45,XO-Mosaike, 47,XYY etc.) strukturelle: balanzierte autosomale Translokationen, Inversionen Prävalenz abhängig von Spermienzahl: 10-15% bei Azoospermie, ca. 5% bei Oligospermie, ca. 1% bei Normospermie Karyotyp 46,XX,t(1;11)(p13;q23) CAVE: erhöhtes Risiko für Frühaborte, Implantationsversager oder schwerbehinderte Nachkommen wegen unbalanzierter Spermien Mann: Klare genetische Faktoren 2 Y-Mikrodeletionen (AZFa-AZFc) nicht-obstruktive Azoospermie/Oligospermie Submikroskopische Stückverluste am langen Arm des Y-Chromosoms (Yq11). Ausschaltung von für Spermatogenese wichtigen Genen 3 klar umschriebene Gencluster mit zum Teil bekannten Kandidatengenen (AZFa = proximal, AZFb = zentral, AZFc = distal: Region des DAZ-Gens) Anomalien: 7.3% Mittels ICSI gezeugte Söhne werden infertil sein AZFa u. z.T. ACFb-c Deletion TESE/Hodenbiospie sinnlos Mann: Klare genetische Faktoren 3 Mutationen im CFTR-Gen obstruktive Azoospermie/Oligospermie Phänotyp: bilaterale (unilaterale) congenitale Aplasie des Vas deferens (CAVD), evt. Minimalsymptome einer cystischen Fibrose (CF) Punktmutationen in der codierenden Region (F508del, R117H etc.) oder Splice-Site-Mutation (5T-Allel IVS8) ca. 70% der CAVD-Patienten weisen charakterisierbare CF-Mutationen auf Ein negatives CFTR-Mutationsscreening schliesst eine CF-Mutation NICHT aus Anomalien: 5.7% (het. 15.5%) Bei molekulargenetisch gesicherter CAVD MUSS die Partnerin (cave = gesunde Person!!) genetisch untersucht werden --> erhöhtes Risiko für CF/CAVD bei Nachkommen Mann: Abklärungsschema Weibliche Infertilität; Aborte Genetische Abklärung obligatorisch Foresta e.a., Eur J Hum Genet (2002) 10, 303 – 312) Wiederholte Aborte ≥ 3 Aborte auch NICHT-KONSEKUTIV! Ziel: Untersuchung des Abortmaterials, wenn nicht möglich Paarabklärung Problem: Fetus ist nicht „Versicherungsnehmer!“ Amenorrhoe (primär/sekundär inkl. POF) oder Oligomenorrhoe (hypogonatroper Hypogonadismus): Karyotyp und FRAXA Meistens Turner (-Mosaik), Triplo-X-Syndrom (2.8%) selten strukturelle Anomalie (2.1%) oder monogene Ursache (Kalmann, BEPS u.a.) FRAXA-Prämutation bei „Klimakterium präcox“ (15 -25% FRAXATrägerinnen mit POF resp. 6.5% POF-Patientinnen sind Trägerinnen). Schlechtes Ansprechen auf ovarielle Stimulation! „Normale Frau“ unerfüllter Kinderwunsch > 1 Jahr vor ART, sicher bei rekurrenten IVF-Versagern Genetische Abortabklärung Zahlen Genetica Missed Abortion: > 52% mit genetisch nachgewiesener Anomalie 62% Trisomien (de novo, ALTER!!!) 14% Triploidien (de novo) 12% Monosomie X (Turner-Syndrom) de novo -> KEINE WEITERFÜHRENDE DIAGNOSTIK, KEINE AENDERUNG DER THERAPIE, „PSYCHOLOGISCH-GENETISCHE BERATUNG“ 7% Strukturanomalien (vgl. Karyotypisierung beim Paar nur 3-5%) -> GENETISCHE BERATUNG; OPTIONEN HETEROLOGE INSEMINATION, PID, VERZICHT, ADOPTION; RISIKOSCHWANGERSCHAFT UND PD Histopathologische Abortuntersuchung ist NICHT zielführend wird aber bezahlt...! fragiles X-assoziierte primäre Ovarialinsuffizienz "FXPOI“ Definition POI: Anormale Ovarialfunktion vor Alter 40 Jahre FXPOI (nachgewiesene Prämutation) 20-28% Trägerinnen entwickeln FXPOI, zusätzliche 23% verfrühte Menopause. Risiko für unerfüllten Kinderwunsch deutlich erhöht!! Inzidenz (Zahlen Genetica ca. 10-12%; Kosten 370 TP) -> Risiko für schwere geistige Behinderung bei Nachkommen erhöhtes (fragiles X-Syndrom); Indikation für Pränataldiagnose!! Risikoschwangerschaft Sinn von molekularer Karyotypisierung bei US-Befund? Sinn oder Unsinn von weitergehenden Untersuchungen bei US-Befund (WZW-Dilemma am Beispiel „NoonanSyndrom“) Pränatale Array-Untersuchung bei Ultraschallbefund Häufige Ausgangslage: „Weiche“ Indikation mit mässig bis deutlich erhöhter Nackentransparenz und normalem Karyotyp in Chorionbiopsie (12. SSW). Ist „teure“ molekulare Karyotypisierung (Array-CGH) indiziert? Seltene Ausgangslage: „Harte Indikation“ mit ultrasonografisch fassbaren fetalen Anomalien im Verlauf (16.-24. SSW). In beiden Fällen schwer belastende Situation mit zahlreichen Differentialdiagnose Array-Fall: Mikrodeletion 22q11.2 Anamnese 33-jährige G1P0 PD wegen: US NT 2.9, ETT V.a. T13/18 CVS Karyotyp normal 46,XY Array: Mikrodeletion 22q11.2 Klinik, Auswirkungen Inzidenz 1:4000 (!!) Hohe Variabilität komplexe Herzfehler, Thymusaplasie Immundefekt, Hypoparathyreoidismus, Aplasie der Nebenschilddrüsen Entwicklungsverzögerung und Minderwuchs Dysmorphiezeichen 20% psychiatrische Auffälligkeiten 5-10% vererbt Fall: Mikrodeletion 1p36 Anamnese 29-jährige G1P0 PD wegen auffälligem VerlaufsUS in 20. SSW: V.a. LKG und VSD Plazentabiosie Karyotyp +/- normal, 1p suspekt Array: Mikrodeletion 1p36 Klinik, Auswirkungen Inzidenz 1/5000 (!) Meist schwerer ER Verhaltensanomalien Autoaggression Hypotonie, Ernährungsproblem Krampfanfälle Dysmorphien, Herzfehler und Sehund Hörstörungen. Weiterführende Pränataldiagnostik bei „isolierter Nackentransparenz“ Differentialdiagnose erhöhte Nackentransparenz bei normaler zyto- und molekulargenetischer Karyotypisierung: Isolierte oder syndromale kardiale Defekte, Sklettdysplasien, genetische Stoffwechseldefekte, SMA etc. Noonan-Syndrom: 9-16% der Feten mit „deutlich erhöhter und persistierender“ Nackentransparenz Noonan-Syndrom (1) Häufigkeit: 1:1.000 bis 1:2.500 postnatal Vererbung autosomal dominant, zum Teil Neumutation, manchmal über asymptomatischen Elternteil vererbt Verdachts-Diagnose postnatal: Minderwuchs, typische faziale Dysmorphien und angeborene Herzfehler (Pulmonalstenose und hypertrophische Kardiomyopathie) Komplikationen postnatal: Thoraxdeformität, leichte Minderbegabung, Kryptorchismus, Fütterprobleme im Säuglingsalter, Blutungsneigung und lymphatische Dysplasien Verdachtsdiagnose pränatal: Klare Indikation bei Hydramnion, Pleuraerguss, Ödem, fragliche Indikation bei verbreiterter Nackenfalte (Grösse strittig, by Indikation zu Array CGH nun NT >95Perzentile). Noonan-Syndrom (2) 50% PTPN11-Gen (12q24.1) sowie KRAS, SOS1, RAF1, BRAF, MAP2K1/2, NRAS, SHOC2, CBL; sehr heterogen! Sensivität (Erfassungsgrad bei evt. Paneluntersuchung ca. 75%) Kosten-Gesamtabklärung (Ausland). Ca. 4500 Euro; Kosten aktuell Schweiz für PTPN11: Ca 3500-4000 TP Nicht-publizierte Daten eines CH-Instituts: PTPN11-Mutation positiv in ca. 7% der Fälle der Fälle mit erhöhter Nackentransparenz Keine Noonan-PD-Guidelines, verschiedene Studien resp. Reviewartikel mit unterschiedlichen Folgerungen: Zum Teil Indikation nur bei „schwerwiegendem US-Befund“, zum Teil bereits wegen isolierter NT >ca. 3 mm. Problem: Pränatale „Stress-Situation“ versus Kosten und möglichem Outcome (Wunsch nach Interruptio resp. „Aenderung der Ueberwachung und Therapie“ postnatal) Krebsrisiko; diagnostischer resp. prädiktiver Gentest (BRCA) Genetische resp. regulatorische Interpretation von Verwandtschaft Männer als „missing link“ im Stammbaum Direkte Verwandte 50% der Gene gemeinsam (Eltern versus Kinder; Vollgeschwister). Aus genetischer Sicht gilt auch ein Grosselter, Onkel/Tante als eng verwandt (25% der Gene gemeinsam). Halbgeschwister wird als „eng verwandt“ empfunden (auch nur 25% Gene gemeinsam) Regelwerk: KLV Art. 12d Massnahmen zur frühzeitigen Erkennung von Krankheiten bei bestimmten Risikogruppen: Verdacht auf das Vorliegen einer Prädisposition für eine familiäre Krebskrankheit Bei Patienten und Patientinnen und Angehörigen ersten Grades von Patienten und Patientinnen mit hereditärem Brust- oder Ovarialkrebssyndrom NCCN Guidelines: Genetic / Familial High-Risk Assessment: Breast and Ovarian • Personal history of breast cancer + >1 of following: • • • • • • • • • Dx age <45 Dx any age with >1 close relative with breast cancer <50 or >1 epithelial ovarian cancer at any age 2 breast primaries with 1st breast cancer dx <50y Dx age <60y with triple negative breast cancer Dx age <50 with a limited family history Dx any age with >2 close relatives with breast cancer at any age Dx any age with >2 close relatives with pancreatic or aggressive prostate cancer at any age Close male relative with breast cancer Ashkenazi Jewish ancestry NCCN.org. Version 1.2013 Published 7 March 2013 NCCN Guidelines: Genetic / Familial High-Risk Assessment: Breast and Ovarian • Family history only • • • • • 1st or 2nd degree relative meeting any of above criteria 3rd degree relative with breast or ovarian cancer with >2 relatives with breast cancer (at least 1 <50 y) and/or ovarian cancer Clinical judgment should be used to determine if the patient has a reasonable likelihood of a mutation Testing unaffected individuals considered only when appropriate family member is unavailable for testing Significant limitations of interpreting test results for unaffected individuals should be discussed NCCN.org. Version 1.2013 Published 7 March 2013 Wann nicht testen, oder doch? (Fallbeispiel) Mammakarzinom li im Alter von 48J. Histologisch wenig differenziertes invasiv duktales Ca, G3, triple-negativ Familienanamnese bzgl. Mamma- und Ovarial-Ca bds in „direkter Verwandtschaft“ bland (Melanom ED 81 J. Mutter; Lungen-Ca 82 J. Grossvater ms) BRCA-Mutationsträgerrisiko CaGene6: 0.7% Kasse lehnt bei nicht eindeutiger Indikation BRCA-Test ab Aber einige Jahre danach......! BRCA über asympt. Männer...! Weitere Fälle 55-jährige Pat. mit high grade serösem Ovarial-CA (NCCN erfüllt) Paternale Grossmutter mit Brustkrebs < 50 J. Asymptomatische Cousine einer asymptomatischen Trägerin mit bekannter BRCA-Mutation (somit hereditäres Risiko bewiesen) Verwandtschaft über Vater (Bruder der Brustkrebspatietin = Tante) Ablehnung Kasse: Keine direkte Verwandte mit Brustkrebs! Kosten 300TP!!! Diskussion, Fragen? Nikko_Tosho-gu_Three_wise_monkeys