ARD - Ratgeber Recht
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ARD-Ratgeber Recht aus Karlsruhe Sendung vom: 31. August 2013, 17.03 Uhr im Ersten ELTERNUNTERHALT – WIE VIEL ALTERSVORSORGE DARF SEIN? Zur Beachtung! Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers/der Empfängerin hergestellt. Jede andere Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des/der Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verbreitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. ARD-Ratgeber RECHT vom 31.08.2013 Seite 2 SÜDWESTRUNDFUNK FERNSEHEN Postfach 5520 76037 Karlsruhe Moderation: Dr. Frank Bräutigam Wir haben jetzt ein wichtiges Urteil vom Bundesgerichtshof für Sie zu einem Problem, das wirklich vielen Familien auf den Nägeln brennt. Wenn Vater oder Mutter ins Pflegeheim kommen, dann reicht deren eigene Rente und Vermögen trotz Pflegeversicherung oft nicht aus, um den Heimplatz damit zu bezahlen. Und wer springt dann ein? Der Staat? Nicht immer! Grundsätzlich sind Sie als Kinder - in gewissen Grenzen - verpflichtet, Ihren Eltern Unterhalt zu bezahlen. Die Behörden holen sich das Geld fürs Heim oft recht forsch von Ihnen zurück und fordern schon mal: tja, dann müssen Sie wohl Ihre Lebensversicherung auflösen oder gar die Eigentumswohnung verkaufen. Zu Recht? Beitrag: Autor: Elternunterhalt – Wie viel Altersvorsorge darf sein? Christoph Kehlbach Ein Bild aus glücklichen Tagen – Vincenza B. an ihrem achtzigsten Geburtstag. Ihr Sohn Antonino denkt gerne an diesen Tag zurück. Denn später ging es mit seiner Mutter gesundheitlich steil bergab. Vincenza B. erlitt einen Schlaganfall und musste ins Pflegeheim. Antonino B. „Dann wurde mir gesagt, dass das Hirn ziemlich viel gelöscht worden ist. Sie konnte danach einzelne Wörter sprechen aber nicht mehr laufen und ganz wenig essen. Und dann wurde sie künstlich ernährt, die ganze Zeit.“ Über vier Jahre lang war sie ein schwerer Pflegefall. Eine harte Zeit für den gebürtigen Italiener. Antonino B. „Meine Mutter war für mich alles, ich hätte alles für sie gemacht!“ Aber seine finanziellen Mittel sind begrenzt. Schnell schießen die Rechnungen fürs Pflegeheim in die Höhe. Die Rente, Pflegeversicherung und Erspartes reichen nicht mehr aus für die Unterbringung der Mutter. 600 Euro fehlen jeden Monat. Laut Gesetz sind in solchen Fällen die Kinder zum Unterhalt verpflichtet. Konkret bedeutet das: Wenn das Vermögen einer pflegebedürftigen Person nicht für die Heimunterbringung ausreicht, dann zahlt erst mal das Sozialamt. Hat die Pflegebedürftige Person Kinder, dann sind die zum Unterhalt verpflichtet. Das Sozialamt verlangt von ihnen Auskunft über die Vermögensverhältnisse. Und dann möglicherweise die Rückzahlung der Auslagen. Auch Antonino B. bekommt Post vom Amt. Er soll ab sofort Unterhalt für seine Mutter zahlen: Antonino B. „Da habe ich natürlich schlaflose Nächte gehabt, weil ich hätte ab sofort 600 Euro im Schnitt zahlen müssen. Pro Monat!“ Aber der Elektriker verdient nur 1200 Euro, viel zu wenig, um davon den Unterhalt für seine Mutter zu zahlen. Wie kommt es dann, dass das Sozialamt trotzdem so viel Geld von ihm haben möchte? Er hat etwas für sein Alter zurückgelegt: Zwei Lebensversicherungen und eine Eigentumswohnung und da will das Sozialamt ran. Das sei Vermögen, das Herr B. im Zweifel verkaufen muss. ARD-Ratgeber RECHT vom 31.08.2013 Seite 3 Frank Hussennether, Rechtsanwalt Bezirk Mittelfranken SÜDWESTRUNDFUNK FERNSEHEN Postfach 5520 76037 Karlsruhe „Ich meine schon, dass die nahen Angehörigen vorrangig für Ihre Unterhaltsberechtigten einzustehen haben, und das nicht Aufgabe der Allgemeinheit ist.“ Antonino B. sieht das ganz anders, seine Altersvorsorge muss geschützt bleiben. Ansonsten wird er später zum Sozialfall, wie seine Mutter, das kann nicht Sinn der Sache sein, meint er. Antonino B. „Ich kann nicht meine Lebensversicherung kündigen, wegen dieser Sache. Wozu habe ich damals diese Lebensversicherung abgeschlossen? Das habe ich eigentlich für mich gemacht. Nur weil ich das Pech hatte, das meine Mutter den Schlaganfall gekriegt hat, werde ich zweimal bestraft. Einmal meine Mutter ist sehr krank und ich werde finanziell vernichtet.“ Grundsätzlich muss ein unterhaltspflichtiges Kind nicht sein gesamtes Vermögen auflösen. Ein Teil des Einkommens, der Altersvorsorge und des Wohneigentums ist geschützt: Beim Einkommen gibt es einen sogenannten Selbstbehalt von 1600 Euro. Diesen Betrag darf das Kind für seinen Unterhalt verwenden. Auch für das Alter darf man vorsorgen: 5 % vom Bruttoarbeitslohn - hochgerechnet auf das gesamte Arbeitsleben - können gespart werden, zum Beispiel in einer Lebensversicherung oder einem Riestervertrag. Bei einem durchschnittlichen Einkommen ergibt sich dadurch ein sogenanntes "Schonvermögen" von rund 100.000 Euro für die Altersvorsorge. Außerdem ist auch das Wohneigentum grundsätzlich geschützt. Aber da ging der Streit los: Das Sozialamt meinte, die Eigentumswohnung von Herrn B. muss zur Altersvorsorge dazugerechnet werden. Die sei auch eine Absicherung fürs Alter: Im Ergebnis hätte B. dann mehr als 100.000 Euro Vermögen gehabt und hätte zahlen müssen. Der Streit schaukelt sich hoch: Am Ende will das Sozialamt 17.000 Euro für vier Jahre Unterhalt von B. zurückgezahlt haben. Der Fall geht bis zum Bundesgerichtshof und da bekommt B. endlich recht! Er muss nicht zahlen. Voraussetzung: Die Immobilie muss selbstgenutzt und angemessen sein. Dann bleibt sie unberücksichtigt. Wird dann also nicht mit der Altersvorsorge zusammengerechnet, sondern steht unabhängig davon. Experten begrüßen das Urteil. Michael Löher, Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge „Für die Praxis bedeutet es jetzt, dass das Vermögen desjenigen, der unterhaltsverpflichtet ist, künftig nicht mehr ohne weiteres herangezogen werden kann, insbesondere, wenn es sich um selbstgenutztes Wohneigentum handelt. Das ist ein Stück weit Beruhigung für all diejenigen, die zum Unterhalt verpflichtet sind. Weil vielfach ja in der medialen Welt ja davon ausgegangen wird, dass das Häuschen verkauft werden muss. Hier besteht jetzt ein Stück Sicherheit: Die Eigentumswohnungen und die Häuser, sofern sie angemessen sind, müssen nicht veräußert werden für den Unterhalt ihrer Eltern.“ Weil die Behörden bisher aber meist anders gerechnet haben, dürfte ein Großteil der ergangenen Bescheide falsch sein. Von alleine, so glauben die Anwälte, werden die Ämter das aber kaum korrigieren. Unterhaltspflichtige mit einem Eigenheim sollten also so bald wie ARD-Ratgeber RECHT vom 31.08.2013 Seite 4 SÜDWESTRUNDFUNK FERNSEHEN Postfach 5520 76037 Karlsruhe möglich eine Neuberechnung verlangen. Und noch einmal darüber nachdenken, wie sie ihr Geld in Zukunft anlegen wollen: Michael Baczko, Fachanwalt für Sozialrecht „Ein Haus mit Grundstück 250.000 / 350.000, wenn er jetzt 200.000 Euro hat, sage ich: Kaufen Sie sich eine Eigentumswohnung, kaufen Sie sich ein Grundstück, weil sonst ist das Geld weg.“ Antonino B. kann sich freuen. Seine hart ersparte Wohnung bleibt ihm - und die Rücklage fürs Alter dazu auch. Moderation: Dr. Frank Bräutigam Also, die selbst genutzte Immobilie ist tabu. Darauf können Sie sich nach dem Urteil gegenüber den Behörden berufen. Tja, sollen Kinder für ihre Eltern haften oder muss die Allgemeinheit, also der Steuerzahler einspringen? Das ist ein Thema zum Diskutieren. Und das können Sie zum Beispiel auf unserer Facebook-Seite vom „Ratgeber: Recht“. Schauen Sie doch mal rein. Zusatzinformationen: Unsere Gesellschaft wird immer älter. Unter dem Stichwort „demografischer Wandel“ ist das schon lange bekannt. In rechtlicher Hinsicht wirft diese Alterung aber viele Fragen auf, vor allem wenn es um die steigenden Kosten für Pflege und Betreuung geht. Der Bundesgerichtshof hat nun ein Urteil gesprochen, das große Auswirkung auf viele Pflegebedürftige und auf deren Angehörige hat. Unterhaltspflicht unter Verwandten – nicht nur für Kinder Verwandte in gerader Linie sind einander zum Unterhalt verpflichtet – das legt das Bürgerliche Gesetzbuch klar fest (§ 1601 BGB). Das heißt aber nicht nur, dass Eltern für ihre Kinder finanziell sorgen müssen: Auch in umgekehrter Richtung sind Kinder unterhaltspflichtig für ihre Eltern, wenn diese bedürftig sind. Und dieser Fall kann schneller eintreten als man denkt: Gesundheitlich kann jeder schnell abbauen und eine vernünftige Pflege ist teuer. Nicht immer reichen Pflegeversicherung, Rente und Erspartes aus, um diese Kosten aus eigener Hand zu zahlen. Dann stellt sich die Frage: Wer ist in der Pflicht und wie weit geht diese Pflicht? Sozialstaatsprinzip – Kosten werden übernommen Reicht das Geld der pflegebedürftigen Person nicht aus, dann springt zunächst das Sozialamt ein. Das ist generell so, denn im deutschen Sozialstaat soll dafür gesorgt werden, dass jedermann die erforderliche Pflege bekommt. Doch der Gesetzgeber hat auch den Nachrang der Sozialhilfe festgelegt, soll heißen: Gibt es Angehörige, die unterhaltspflichtig sind, dann müssen sie diese Kosten erstatten. Die öffentliche Hand soll nur als „letzte Alternative“ zahlen müssen. Kein unbegrenzter Zugriff des Staates Unterhaltspflichtige müssen aber nicht mit ihrem gesamten Vermögen für Ihre Verwandten einstehen. Der Gesetzgeber will nämlich verhindern, dass eben diese Verwandten, später selbst zum Sozialfall werden. Darum gesteht er jedem ein sogenanntes Schonvermögen zu. So etwa verbleibt jedem unterhaltspflichtigen Kind ein Betrag von 1600 Euro vom Einkommen, der nicht weiter angetastet werden darf. Außerdem darf jeder für´s eigene Alter zusätzlich zur Rentenversicherung ein Vorsorge-Vermögen ansparen. Dafür wird ein Betrag von 5 Prozent vom Bruttoarbeitseinkommen anerkannt – gerechnet aufs gesamte Berufsleben. Bei durchschnittlichen Einkommen und einer durchschnittlichen Lebensarbeitszeit von rund 35 Jahren kommt dabei ein Betrag von etwa 100.000 Euro zusammen, der ebenso vom Zugriff „geschont“ wird. Ungeklärt war jedoch lange, wie es sich mit selbst genutztem Wohneigentum verhält: Wird dieses dem Vorsorge-Vermögen hinzugerechnet oder steht es unabhängig daneben? Eine entscheidende Frage, denn die meisten Immobilien dürften einen Wert haben, der die 100.000 Euro übersteigt. Die Folge wäre also: Wird die ARD-Ratgeber RECHT vom 31.08.2013 Seite 5 SÜDWESTRUNDFUNK FERNSEHEN Postfach 5520 76037 Karlsruhe Immobilie hinzugerechnet, müssen die Unterhaltspflichtigen ihr sonstiges Vermögen, also etwas Sparguthaben, Aktienpakete, Lebensversicherungen, für den Unterhalt ihrer Eltern aufwenden. BGH: Immobilie bleibt geschützt Genau so war auch die Ausgangssituation in einem Fall, den der Bundesgerichtshof (BGH) zu entscheiden hatte. Ein Elektriker sollte für die Pflegekosten seiner Mutter aufkommen. Sein Einkommen lag aber unterhalb der geschützten Grenze von 1600 Euro. Darum forderte das Sozialamt, das in Vorleistung getreten war, dass der Mann sein angespartes Vermögen verwendet, um die Pflegekosten zumindest in Teilen zu erstatten. Zu diesem ersparten Vermögen zählten Lebensversicherungen, Sparguthaben und sonstige Vermögenswerte die unterhalb der Grenze des geschonten Vorsorgevermögens lagen, aber eben auch eine Eigentumswohnung. Deren Wert, hätte man ihn hinzugerechnet, würde das Gesamtvermögen des Mannes dann soweit ansteigen lassen, dass er doch für die Unterbringung seiner Mutter hätte zahlen müssen. Das Argument des Sozialamts: Auch die Eigentumswohnung dient der Altersvorsorge, sie muss also hinzugerechnet werden. Dem folgte der BGH nicht und entschied: Es ist dem Unterhaltspflichtigen nicht zumutbar, eine selbst genutzte und angemessene Wohnung zu verwerten, um den Unterhalt für pflegebedürftige Eltern zu begleichen. Der Elektriker, der sich das Geld für die Wohnung über Jahre zusammengespart hat, muss also nicht zahlen, das Sozialamt bleibt auf der Forderung sitzen. Eine Entscheidung mit Folgen Wie genau die beiden Voraussetzungen „selbst genutzt“ und „angemessen“ auszulegen sind, hat der BGH nicht konkretisiert. Experten gehen aber davon aus, dass für die „Angemessenheit“ einer Wohnung nicht alleine der Wert entscheidend ist, weil zwei Häuser von gleicher Größe und gleichen Zustand ja durchaus unterschiedlichen Wert haben können, wenn sie in unterschiedlichen Regionen stehen. Es dürfte also immer auf eine Einzelfall-Betrachtung hinauslaufen. Im entschiedenen Fall jedenfalls sahen die Richter die 3Zimmer-Wohnung (ca. 85 Quadratmeter) des Elektrikers als angemessen an. In der Verwaltungspraxis wurden in der Vergangenheit – auch mangels eines höchstrichterlichen Urteils – jedoch oft die Wohnung mit angerechnet. Anwälte raten den Betroffenen nun dazu, nicht darauf zu warten, dass die Behörden ihre Berechnungen korrigieren, sondern selbst die Initiative zu ergreifen und wegen des aktuellen Urteils eine Neuberechnung zu verlangen.